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N° 1353
13. - 24.04.2024

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(c) Chuck Stewart

Eric Dolphy

„Out“ – Zum 50. Todestag

Am 29. Juni 1964, neun Tage nach seinem 36. Geburtstag, trat Eric Dolphy in Berlin überraschend seine letzte Reise an.

Schon die Plattentitel – von seinem Erstling „Outward Bound“ über „Out There“ bis zu seinem Schwanengesang „Out To Lunch“ – signalisieren: Ich bin nicht da, sondern unterwegs, im ursprünglichen Sinne des Wortes „ex-zentrisch“, wobei das „ex“, das „out“, das „draußen“ für alles Mögliche stehen. Er war ein Outsider, stand nicht im Zentrum der wichtigsten Strömungen seines Umfelds – West Coast Jazz, Hard Bop, Modaler Jazz, Free Jazz –, sondern an deren Rand. Eine seltene Kombination aus Kompromisslosigkeit und Vielseitigkeit erlaubte es ihm, in nahezu jeder musikalischen Umgebung zu musizieren und doch die Unverwechselbarkeit seiner radikal expressiven Stimme zu bewahren. Selten hatte er die Möglichkeit, unter eigener Regie an seiner Musik zu arbeiten. Bei den Hauptvertretern der Avantgarde, bei Bandleadern wie Charles Mingus, John Coltrane, Ornette Coleman und George Russell, konnte er sich immerhin recht frei entfalten.
Spielt ein Musiker „out“, dann bewegt er sich in seinen Improvisationen weit weg von dem Rahmen, den ihm ein Thema vorgibt. Keiner hat das besser gekonnt als Eric Dolphy: Ständig spielte er Töne, die innerhalb der verwendeten Tonarten und Harmoniewechsel scheinbar nichts zu suchen hatten, sei es auf dem Altsaxofon, der Bassklarinette, die er als Soloinstrument verankerte, oder der Flöte, auf die er dem Vogelgesang abgelauschte Intervalle übertrug.
Dolphy hat „Birds“ Innovationen bis zu ihren äußersten Konsequenzen zu Ende gedacht und gefühlt. Dabei erlebte Parkers seltsame Kombination aus glühender Intensität und vogelflugartiger Leichtigkeit in Dolphys Spiel eine nochmals um einige Hitze-Grade und Höhenmeter gesteigerte Wiedergeburt. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Gesundheitsapostel Dolphy, der so anders lebte als Parker, etwa im gleichen Alter starb, und zwar an Diabetes. Er hat sich beim Musizieren ganz dem Augenblick hingegeben und uns dabei Momente reinster musikalischer Ekstase geschenkt. Schreiben wir es ausnahmsweise als Ex-tase, es bedeutet ja auch „Aus sich heraustreten“.

Marcus A. Woelfle, 17.05.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2014



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