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10 Jahre BBC Legends

Der Sound Detective

Als sich die englische BBC entschloss, die Schätze ihres Klassikarchivs auf CD zugänglich zu machen, zeigte sich, dass zahlreiche der Tondokumente nicht mehr verfügbar waren: beschädigt, zerstört, verschwunden. John Pattrick gelang es dann doch in mühsamer Kleinarbeit, über 200 Aufnahmen zu recherchieren und zu veröffentlichen – wie, das verriet er RONDO-Autor Michael Wersin.

Da war schon ein kompetenter, mit allen Wassern des Klassikbusiness gewaschener Mann erforderlich, der seine ganze detektivische Begabung daran zu setzen hatte, scheinbar Verlorenes wieder ausfindig zu machen: John Pattrick, ehemals Vizepräsident von EMI International, wurde 1997 von der BBC unter Vertrag genommen, in Zusammenarbeit mit der Agentur IMG Artists das neue Label BBC Legends auf den Weg zu bringen. Der heute 66-Jährige verbrachte viel Zeit nicht nur in den Archiven der BBC, sondern vor allem auch im National Sound Archive der British Library – hier fanden sich viele professionell hergestellte Parallelmitschnitte von wichtigen Konzertereignissen, mit denen die schmerzlichen Lücken in den BBC-Regalen vielfach geschlossen werden konnten. Darüber hinaus jedoch nahm Pattrick auch Kontakt zu zahlreichen privaten Sammlern auf, die er zur Herausgabe ihrer selbst verfertigten Raubmitschnitte zu überreden versuchte – in vielen Fällen mit Erfolg.
John Pattricks unermüdliches Recherchieren war überaus erfolgreich: In diesem Jahr feiern die BBC Legends ihren zehnten Geburtstag, und es liegen derzeit 205 Einzel- und Doppel-CDs mit großartigem Live- und Studiomaterial vor. Leopold Stokowskis atemberaubende Darbietung von Mahlers Zweiter etwa mit dem London Symphony Orchestra, Rae Woodland und Janet Baker, die am 30. Juli 1963 in der Royal Albert Hall über die Bühne gegangen war – der Dirigent mit dem Disney- Image entpuppt sich hier als glühender Mahlerinterpret der hochkompetenten Sorte. Oder Jascha Horensteins genial-altersweise Interpretationen von Bruckners achter und neunter Sinfonie mit dem BBC Symphony Orchestra bzw. dem LSO, mitgeschnitten im September und im Dezember 1970: interpretatorische Weltliteratur, die ohne die BBC Legends wohl nie an das Ohr derer gedrungen wäre, die damals nicht im Publikum saßen. Mstislaw Rostropowitschs Liveversion des Elgar’schen Cellokonzerts, das er bald darauf resigniert für immer aus der Hand legte, weil Jacqueline du Pré es seiner Meinung nach so ungleich viel besser spielte, oder Janet Bakers elektrisierende frühe Einspielungen von Brahmsliedern in den Londoner BBC-Studios (s. CD-Olymp im RONDOplus) – Highlights gibt es viele in John Pattricks weltweit vertriebener CD-Reihe.

Neu erschienen:

Fünf Neuerscheinungen: Serkin/Beethoven, Baker/Mahler, Rostropowitsch/Haydn, Nilsson/ Wagner, Roschdestwenskij/Schostakowitsch (im Vertrieb von Musikwelt).

Michael Wersin, 31.05.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2008



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