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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Nikolaus Lehnhoff

Stars in der Manege

Erst Verdi in Dresden, dann Wagner in Baden-Baden: Mit 69 Jahren ist Nikolaus Lehnhoff noch immer einer der vielbeschäftigtsten deutschen Opernregisseure – und einer, der sich im Metier so gut auskennt wie kaum ein anderer. Mit Jörg Königsdorf sprach er über seine Lust auf Verdi, den Schlendrian an deutschen Opernhäusern und die Bayreuther Nachfolge-Querelen.

RONDO: Herr Lehnhoff, nach »Parsifal« und »Lohengrin« inszenieren Sie dieses Jahr schon Ihre dritte Wagneroper in Baden-Baden. Wollen Sie ein Gegenbayreuth an der Oos etablieren?

Nikolaus Lehnhoff: Nein, eigentlich kam das alles eher zufällig zustande. Der Intendant Andreas Mölich-Zebhauser fragte mich 2003, ob ich nicht meine »Parsifal«-Inszenierung aus London, San Francisco und Chicago im nächsten Jahr in sein Festspielhaus übertragen wolle. Das Ergebnis war recht erfolgreich, und dann wollte Kent Nagano die Zusammenarbeit unbedingt mit dem »Lohengrin« fortsetzen. Mit Bayreuth hat das gar nichts zu tun.

RONDO: Umso erstaunlicher, dass Sie in Baden-Baden nicht den »Ring« machen und man stattdessen Quereinsteiger wie den Filmregisseur Florian Henckel von Donnersmarck fragt.

Lehnhoff: Was soll man zu jemandem sagen, der seinen Kollegen unterstellt, sie seien ungepflegte Penner, die sich an den großen Häusern an Wagner vergreifen würden? In einem ausführlichen Zeitungsinterview redet er über einen Kontakt, der nie weiter als über ein freundliches Gespräch hinaus gediehen ist! Aber davon abgesehen: Baden-Baden hat mich zuerst gefragt. Ich habe aber ablehnen müssen, als der »Ring« verschoben wurde. Die »Götterdämmerung« ist jetzt für 2013 geplant und ich weiß nicht, ob ich dann noch körperlich in der Lage sein werde, so einen Stress durchzustehen, um diese vier Elefanten gesattelt in die Manege zu schicken.

RONDO: Würden Sie nach San Francisco und München denn überhaupt noch mal einen »Ring« machen wollen?

Lehnhoff: Wenn die Bedingungen stimmen, würde ich mir das jetzt noch zutrauen – ich habe sogar schon ein Konzept dafür im Kopf. Wichtig ist aber vor allem, dass ich die richtigen Sänger kriege. Das war auch meine Hauptbedingung, als mich Levine vor ein paar Jahren für die Met fragte. Ich habe ihm gesagt: Bei allem Respekt für Voigt und Eaglen – ich möchte Karita Mattila als Brünhilde haben. Und schließlich gab man mir da sogar freie Hand – aber dann trat der Intendant zurück, und die ganze Sache wurde erstmal abgesagt.

RONDO: Und wie bekommen Sie die Sänger, die Sie haben wollen?

Lehnhoff: Ich habe da eine Menge persönlicher Vertrauensverhältnisse aufgebaut – oft über Jahrzehnte. Ich habe ein Herz für Sänger und weiß, welche Leistung sie auf der Bühne bringen müssen – und die Sänger spüren das. Und wie man besetzt, wusste ich eigentlich schon immer. Schon bei meiner Debütinszenierung, Strauss’ »Frau ohne Schatten« in Paris, habe ich mich selbst um die Besetzung gekümmert: Christa Ludwig und Walter Berry, Leonie Rysanek und James King. Die Christa hat damals schon gesagt: »Du wirst bald Intendant.« Und jetzt, da ich es nie geworden bin, muss ich sagen: Ich hätte das gekonnt.

RONDO: Stattdessen wurden Sie der internationalste deutsche Opernregisseur. Auch nicht schlecht …

Lehnhoff: Dass ich lange nur wenig in Deutschland gearbeitet habe, lag paradoxerweise an dem Riesenerfolg meines Debüts. Das durfte nicht sein, dass einer gleich in Paris anfängt und dann auch noch Erfolg hat! Da war man in Deutschland misstrauisch. Dazu kam noch, dass ich den Schlendrian des deutschen Repertoiretheaters ja in meiner Assistenzzeit an der Deutschen Oper Berlin zur Genüge kennen gelernt hatte. Wenn ein Sänger krank wurde, flog man einen Ersatz ein, der nur notdürftig eingewiesen werden konnte. Und am Ende war man froh, wenn der Tenor wenigstens in den Armen der richtigen Frau gelandet war. Und an diesen Zuständen hat sich bis heute im deutschen Repertoiretheater nicht viel geändert.

»Glyndebourne war 20 Jahre lang meine Trauminsel.«

RONDO: Und das war im Ausland so viel anders?

Lehnhoff: Ja. In New York, wo ich an der Met zunächst als Assistent arbeitete, gab es damals für jede Produktion zwei Cover für jede Hauptpartie, mit denen gründlich geprobt worden war – natürlich auch, weil das nächste große Opernhaus damals außer Reichweite lag. Und später in Glyndebourne waren die Bedingungen ja ohnehin traumhaft: Das war 20 Jahre lang meine Trauminsel. Sieben Wochen Proben im fertigen Bühnenbild für jede Neuproduktion, mindestens vier Wochen Proben für jede Wiederaufnahme. So entsteht die Intensität eines Opernabends! Übrigens hat man mir dort auch freie Hand gelassen, mein Team zusammenzustellen: Ich habe beispielsweise Nina Stemme als Isolde entdeckt und auch Anja Silja ist durch mich nach Glyndebourne gekommen.

RONDO: Umso mehr wundert es, dass Sie sich doch hin und wieder auf den deutschen Repertoirebetrieb einlassen: Ihre nächste Arbeit ist erstmal »Rigoletto« in Dresden. Vermutlich in jeder Aufführungsserie mit einer anderen Besetzung.

Lehnhoff: Ehrlich gesagt, war die Versuchung einfach zu groß. Nicht weil Flórez die Premiere singt, sondern weil ich ein totales Verdi-Nachholbedürfnis habe: In 35 Jahren habe ich erst eine einzige Verdi-Oper inszeniert, den »Don Carlos« in Zürich. Ich wurde ja als deutscher Regisseur lange nur für Mozart, Strauss und Wagner angefragt. Deshalb war ich auch so froh, als ich in Glyndebourne Janáček machen durfte. Oder als man mir in Amsterdam »Tosca« anbot. Das war dann jedes Mal, als ob ich einen Teufelskreis durchbrochen hätte.

RONDO: Ist es für Sie ein grundsätzlicher Unterschied, ob Sie Verdi oder Wagner inszenieren?

Lehnhoff: Natürlich, deshalb habe ich mir für den »Rigoletto« auch besonders viel Zeit gelassen. In der Vorbereitung habe ich jede Szene haargenau durchchoreografiert und auf die Körpersprache der Sänger abgestimmt. Nicht als sklavische Anweisung, sondern um ein tragfähiges Netz zu haben. Diese Präzision ist für mich unverzichtbar. Ich habe das in Bayreuth bei Wieland Wagner gelernt, und zwar gleich am ersten Tag. Es war »Meistersinger«-Probe und der Assistentenkollege hatte offenbar das Regiebuch nicht genau geführt. Als er eine Frage Wielands deshalb nicht genau beantworten konnte, bekam der einen Wutanfall und schleuderte das Buch kurzerhand in den Orchestergraben. Ich habe dann in Bayreuth kaum einen Tag mehr als drei, vier Stunden geschlafen, um die Regiebücher möglichst exakt zu führen. Wieland hat dann auch immer meine Bayreuther Regiebücher mitgenommen, wenn er anderswo eine Wagneroper inszenierte.

RONDO: Warum haben Sie dann später eigentlich nie in Bayreuth gearbeitet?

Lehnhoff: Ach, da stand ich nach Wielands Tod auf dem Index. Ich hatte 1966 die Wiederaufnahme von Wielands »Ring« zu verantworten, und weil Wolfgang Wagner damals schon wusste, dass sein Bruder todkrank war, änderte er alles, was ihm nicht passte. Wieland erfuhr natürlich davon, weil ich ihm jeden Tag im Krankenhaus berichten musste, und nach wütenden Telefonaten wurde alles wieder rückgängig gemacht. Aber Sie können sich denken, dass ich mir damit einen Feind geschaffen hatte. Wolfgang Wagner und ich haben erst vor wenigen Jahren wieder miteinander gesprochen.

RONDO: Insofern dürften Sie die Nachfolge-Querelen ganz gut verstehen …

Lehnhoff: Ja, diese Feindschaft zwischen den Familien von Wieland und Wolfgang war damals schon spürbar. Für mich sind die Wagners das deutsche Atriden-Geschlecht: Eine Sippe, die sich selbst zerfleischt.

Jörg Königsdorf, 07.06.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2008



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