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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Christoph Schlingensief

Der Kampf gegen die vierte Wand

Christoph Schlingensief über den letzten Sommer in Bayreuth, seine anfängliche Angst vor Wolfgang Wagner und den Zusammenhang zwischen dem „Fliegenden Holländer“, brasilianischen Urwäldern und nervenden Insekten. Gerade aus Manaus zurückgekehrt, sprach mit ihm Robert Fraunholzer.

RONDO: Herr Schlingensief, sind Sie sauer, weil Ihr „Parsifal“ in Bayreuth in diesem Jahr abgesetzt wird?

Christoph Schliengensief: Überhaupt nicht. Man sagt immer: „Nur vier Jahre“ sei mein „Parsifal“ gelaufen. Warum sollte er 20 Jahre gespielt werden? Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht mal mit vier Jahren gerechnet hätte. Bei der Premierenfeier dachte ich: „So, das war’s.“ Ich hatte immer nur einen Einjahresvertrag. Und Patrice Chéreaus berühmter „Jahrhundertring“ lief auch nur ein Jahr länger. Ich bin richtig stolz.

RONDO: Haben sich die internen Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Bayreuth beruhigt?

Schlingensief: Erst bei der zweiten Wiederaufnahme, also im letzten Jahr, wurde die Arbeit entspannter. Da habe ich erstmals gespürt: Es wird akzeptiert. Die Aggressivität hat sich verflüchtigt. Es waren andere, erst Christoph Marthaler, dann Tankred Dorst, in die Schusslinie gerieten. Mit der Umbesetzung von Evelyn Herlitzius und Alfons Eberz hatte ich das Glück zweier Darsteller, die sich auch mal berührten. Seit dem letzten Jahr schienen plötzlich alle Lust auf den „Parsifal“ gekriegt zu haben.

RONDO: Hat sich Bayreuth verändert?

Schlingensief: Ja, da ist eine Tür aufgegangen. Es herrscht eine stimmungsmäßig bessere Belüftung. Nach dem „Ring“ gab’s Bewegungen und die Einsicht anders zu denken. Das System Bayreuth steht, glaube ich, mit Katharina Wagner heute an einer Stelle, an der sie die Entscheidungen selbst trägt. Bayreuth ändert sich. Das war vor vier Jahren noch anders.

RONDO: Passen Sie heute besser dahin als vor vier Jahren?

Schlingensief: Ich habe immer schon dahin gepasst. Was mich interessiert, sind die endlosen Storys, denen man lange nachgehen muss. Ich mag die Typen, die 100 Jahre schon etwas erzählt haben – wie Gurnemanz. Er ist wie der ewige Wirt, der es nicht lassen kann, die immer gleichen Geschichten immer wieder zu erzählen. Deshalb muss ich ihn aber nicht im „Wirtshaus im Spessart“ spielen lassen. Ich mag im Theater keine Aktualisierungen. Ich möchte auch nichts bebildern. Ich möchte weiterlernen. Ich mag keinen Theaterorgasmus und auch keine Vollendung, bei der man sagt: So, jetzt haben wir’s. Aber ich stehe zu Wagner. Die Wagnerianer können sich noch auf mich freuen.

RONDO: Wie kommen Sie mit Sängern zurecht?

Schlingensief: Als ich Robert Holl, den Darsteller des Gurnemanz, zum ersten Mal sah, dachte ich: „Großer Gott, was ist das denn für eine Welt?!“ Er trug Gesundheitsschuhe. Damit geht man auf einer Bühne ziemlich komisch – so wie ich selbst! Ich denke, das muss man akzeptieren und nicht verbiegen. Bei anderen Regisseuren wird öfters abgebrochen, haben mir einige Sänger gesagt. Ich habe auch immer wieder gelesen, ich könne keine Personenregie. Mit diesem Nichtkönnen habe ich kein Problem. Sänger sind für mich Readymades. Denn auf dem Wochenmarkt ist mir noch niemand begegnet, der singt.

RONDO: Warum haben Sie den „Fliegenden Holländer“ im brasilianischen Urwald inszeniert?

Schlingensief: Wagner wollte einmal eine Oper schreiben, die „Die Sieger“ hieß. Im Urwald, dort in Manaus, hätte sie „Die Insekten“ heißen müssen. In „Fitzcarraldo“ von Werner Herzog werden dort mit Caruso die Büsche beschallt. Ich wollte Wagner dahin zurückbringen, wo diese Illusion war.

RONDO: Liegt das Opernhaus von Manaus wirklich im Urwald?

Schlingensief: Nein, drum herum ist dort auch inzwischen alles betoniert. Trotzdem: ein Theaterufo, das Avantgarde ist. So wie die Scheune auf dem Grünen Hügel in Bayreuth auch. Ein Haus an unmöglicher Stelle. Es sind beides Denkmäler, durch die Heimatlosigkeit abgebaut wird. Denn es sind Häuser, die Heimat bedeuten.

RONDO: Halten Sie Wagners „Holländer“ heute noch für avantgardistisch?

Schlingensief: Der Holländer kehrt bei Wagner alle sieben Jahre zurück. Immer wieder hat sich alles verändert. Nur avantgardistisch soll es immer wieder sein. Daland kommt mir dabei wie ein kolonialer Mädchenhändler vor, der immer denselben Kunden trifft, dem er nichts verkaufen kann. Das sind ganz ähnliche Transformationen wie im „Parsifal“. Das ist für mich jetzt erst in Südamerika ganz klar geworden.

RONDO: Hat Ihnen der Dschungel gefallen?

Schlingensief: Ich ziehe nicht dahin. Überall feucht, überall wimmelt es von irgendetwas. Man saß mitten in einem Sud. In Afrika fühle ich mich mehr zuhause. Das ist mein idealer Pilgerort, weil ich die Sprache da nicht verstehe. Jedes Gelände, in dem die rhetorische Flut aus Deutschland versiegt, genieße ich. Da habe ich auch mehr Angst. Ich setze dann meinen Körper anders ein. Ich glaube, dass man nach Lourdes geht, weil man Angst vor dem Wunder hat.

RONDO: Wollen Sie sich weiterhin mit der Oper beschäftigen?

Schlingensief: Ich werde öfters ungläubig gefragt: „Ach, Sie würden noch einmal Oper machen?!“ Mein Kampf gegen die vierte Wand ist aber noch nicht vorbei. In Berlin mache ich bald eine Oper von Walter Braunfels. Von Wagner höchstens noch irgendwann „Tristan“.

RONDO: Was halten Sie heute von Wolfgang Wagner?

Schlingensief: Anfangs hat er mir Angst eingejagt. Der Mann tauchte auf, stand da und erzählte von Karajan. Er hat immer Geschichten erzählt. Wenn ihm meine Arbeit zu bunt wurde, sagte er immer wieder: „Machen Sie doch, was Sie wollen!“, ging raus – und war nach zehn Minuten wieder da. Eine gute Methode. Er war weg und immer da. Inzwischen habe ich gemerkt, er hat Recht, sein Alter zu genießen. Er soll sein Denkmal bekommen. Ein beeindruckender Typ, der mit allen Tricks gearbeitet hat.

RONDO: Wie ist Ihr heutiges Verhältnis zu Endrik Wottrich, mit dem es damals Konflikte gab?

Schlingensief: Endrik Wottrich kenne ich gar nicht mehr. Ich hab ihn noch ein Mal gesehen. Damals war es für mich eine bittere Episode. Aber anschließend hatte ich nie mehr das Gefühl, dass man sich in die Arbeit einmischt. Ich bin kein wirklicher Opernregisseur. Aber wer mir sagt: „Mach mal den Wilden!“, der interessiert mich auch nicht. Ich möchte nicht, dass man mich auf mich selbst reduziert. Wer nur meinen Namen will, wird sich noch wundern.

Robert Fraunholzer, 09.08.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2007



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