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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Thomas Quasthoff und Till Brönner

Runter vom Sockel

RONDO: Herr Quasthoff, warum haben Sie ein Jazzalbum aufgenommen?

Thomas Quasthoff: Weil ich etwas machen wollte, das über den üblichen Klassikrahmen hinausgeht. Schon vor meiner klassischen Ausbildung habe ich Jazz gesungen, ich hatte immer eine Affinität zu diesem Genre. Und als ich dann Till Brönner kennen lernte, wusste ich: Er ist der richtige Produzent für meine CD.

RONDO: Wie war denn die Zusammenarbeit mit Thomas Quasthoff für Sie, Herr Brönner?

Till Brönner: Sehr spannend. Bei diesem Sänger konnte ich aus einem gigantischen Reservoir schöpfen. Zumal er ein ausgesprochen umfangreiches Repertoirewissen hat. Wenn ich ihm ein Stück vorschlug, hatte er sofort die richtigen Assoziationen. Er war sogar bereit, Nummern auszuprobieren, denen er zunächst skeptisch gegenüber stand.

RONDO: Bei welchen Songs hatten Sie denn Zweifel?

Quasthoff: Einige Swingstücke klangen für mich nach dem ersten Einstudieren eher trocken. Aber mit der Band und den fertigen Arrangements bekamen sie dann plötzlich eine ganz andere Dimension. Und das Hildegard- Knef-Lied „Eins und eins, das macht zwei“ gehört eigentlich nicht auf das Album. Trotzdem veröffentlicht es die Plattenfirma für den deutschen Markt jetzt als Bonustrack.

RONDO: Wie hat Ihre Plattenfirma auf das Jazzprojekt reagiert?

Quasthoff: Mit Bedenken. Man wollte mir das Jazzalbum mit einer wenig Erfolg versprechenden Studie ausreden. Doch darauf habe ich mich nicht eingelassen. Wenn wir Plattenproduktionen oder Konzerte nur nach Marktanalysen planen, ist das der Untergang des Musikmachens.

RONDO: Dennoch wird nicht jeder Klassikpurist Ihre CD goutieren.

Quasthoff: Das interessiert mich nicht. Ich habe mich nie jemandem angebiedert – weder privat noch als Künstler.

RONDO: Was halten Sie von der Trennung zwischen E- und U-Musik?

Brönner: Sie ist unnötig. Einige Musiker empfinden Jazz bloß als Niederung, weil sie um ihre Pfründe fürchten. Wer sich mit diesem Genre jedoch intensiv auseinandersetzt, wird feststellen, dass es auch klassische Elemente hat. Meiner Ansicht nach baut in der Musik alles aufeinander auf.

Quasthoff: Für mich gibt es nur gute und schlechte Musik. Auch in der E-Musik geht’s ohne das U, den Unterhaltungsaspekt, nicht. Wenn ich auf der Bühne stehe, will ich eine persönliche Beziehung zu meinem Publikum herstellen, weil ich mich auch als Entertainer sehe.

RONDO: Klassik braucht also mehr Publikumsnähe?

Quasthoff: Wir müssen die Klassik von diesem Sockel herunterheben, auf den sie Leute wie Dietrich Fischer-Dieskau gehoben haben. Da sich die Zeiten sehr geändert haben, dürfen wir diese Musik nicht mehr wie vor 40 Jahren präsentieren. Wir sollten uns neuen Entwicklungen stellen und dafür sorgen, dass sich junge Menschen in den Konzertsälen wohlfühlen.

RONDO: Ist das in Deutschland einfacher als in Amerika?

Quasthoff: Die Amerikaner sind eher bereit, sich auf etwas Neues einzulassen, einem Künstler eine Chance zu geben. In Deutschland hingegen gibt es 80 Millionen Bedenkenträger. Die nölen schon vorab: „Das kann ja nichts werden.“

RONDO: Haben Sie sich deshalb von der Opernbühne zurückgezogen?

Quasthoff: Weil ich zusammen mit meiner Frau ein achtjähriges Mädchen ins Leben führe, weigere ich mich, für eine Produktion zwei Monate von zu Hause weg zu sein. Außerdem gehe ich auf die 50 zu – da ist ein Opernauftritt mit meiner Behinderung wirklich sehr anstrengend. Im Übrigen war ich nie ein großer Opernsänger, ich habe bisher nur in zwei Inszenierungen mitgewirkt.

RONDO: Statt Arien singen Sie nun gefühlvolle Standards. Wie nah sind diese Lieder am Kitsch?

Quasthoff: Die Frage ist doch, wo Kitsch beginnt. Wenn Sie 100 Leute befragen, wird Ihnen jeder eine andere Definition geben. Was der eine schön findet, ist für den anderen kitschig.

Brönner: Im American Songbook gibt es viele schwülstige Songs. Die Kunst ist es, die Stücke herauszufiltern, die wirklich emotionale Tiefe haben. Man kann sogar einen vermeintlichen Gassenhauer so arrangieren und interpretieren, dass er eine individuelle Farbe bekommt.



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