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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Marco Borggreve

Blind gehört

Gábor Boldoczki: „Die Trompete kann viele Rollen übernehmen.“

Gábor Boldoczki ist der Mann im Dreigestirn der jungen Trompeten-Plattenstars neben Alison Balsom und Tine Thing Helseth. Dabei führt der 38-jährige Ungar, der als Professor an der Franz-Liszt-Hochschule in Budapest unterrichtet, ein erstaunliches Doppelleben: Als Exklusivkünstler von Sony Classical nimmt er ausschließlich Musik des 18. Jahrhunderts auf, während er live eine große Bandbreite bis hin zu zahlreichen Uraufführungen spielt. Beim „Blind gehört“ zwischen zwei Pausen im Potsdamer Nikolaisaal schickt er entschuldigend vorweg: „Ich höre wenig Trompetenmusik. Wenn man viel spielt und probt und übt, dann hört man nicht auch noch auf CD Trompetenmusik.“

Ha, das Stück erkenne ich! Aber die Aufnahme habe ich noch nie gehört, da bin ich ganz sicher. Und ich bin sicher, es ist nicht Maurice André und auch nicht Reinhold Friedrich. Ich tippe auf Wynton Marsalis. Das ist nach dem Urtext gespielt, und es wirkt vom Orchesterklang und vom Tempo her wie eine ältere Aufnahme. Und dann gibt es hier eine Verzierung, eine Art Triller, die man auf zwei Arten spielen kann, und ich glaube, so wie hier spielt sie nur Wynton Marsalis. Er ist ein wichtiger Trompeter, er hat schöne Aufnahmen gemacht, aber trotzdem spielt er für mich besser Jazz als Klassik. (lacht) Das Haydn-Konzert ist eines unserer wichtigsten Stücke. Ich spiele es gar nicht so oft und deshalb freue ich mich immer wieder darauf. Jedes Orchester hat seinen eigenen Klang und Charakter, und es ist spannend zu sehen, wie man sich da einpasst und was daraus in den Proben entsteht. Haydn war sowieso ein sensationeller Komponist, aber dies war sein letztes Instrumentalkonzert, es ist ein sehr reifes Werk. Großartig komponiert für Trompete.

Joseph Haydn

Trompetenkonzert Es-Dur Hob. VIIe: 1., 3. Satz

Wynton Marsalis, National Philharmonic Orchestra, Raymond Leppard

Sony

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Reinhold Friedrich? Håkan Hardenberger? Dann ist es Sergei Nakariakov! Das muss eine alte Aufnahme sein, wo er noch ein Trompetenvibrato spielt. Sein heutiges Vibrato würde ich sofort erkennen, das ist fantastisch, wie bei einem Streicher. Wir sind sehr gut befreundet und spielen immer wieder zusammen. Dieses Stück ist für B-Trompete komponiert, und Sergei spielt vor allem BTrompete und Flügelhorn. Und es ist sehr musikalisch und sensibel gespielt, das passt zu Sergei. Für mich ist er ein ganz großer Musiker. Wir beide sehen uns nicht in erster Linie als Trompeter, sondern als Musiker, die etwas ausdrücken wollen, und die Trompete ist nur das Mittel dazu. Mein Vater spielte Trompete und unterrichtete Blechblasinstrumente. Ich habe mit neun Jahren angefangen und bin dabei geblieben – und jetzt wechsle ich nicht mehr. (lacht) Was ich an der Trompete mag? Sie bietet so viele Möglichkeiten durch die verschiedenen Instrumente. Ich habe acht verschiedene Trompeten zu Hause: vier Piccolos in drei Stimmungen, Flügelhorn, C-, Es- und B-Trompete – und jedes Instrument hat einen anderen Charakter. Welches Instrument man wählt, ist bei neuerer Musik meist vorgeschrieben. Richard Strauss, der ein Meister des Orchestrierens war, hat in seinem Buch zwei lange Seiten darüber geschrieben, welche Trompete wo einzusetzen ist. Und sein letzter Satz lautet: Letztendlich muss der Trompeter entscheiden. (lacht) Deswegen kann man auch so gut Barockmusik bearbeiten. Man kann auf der Trompete ein melancholisches Oboenkonzert genauso gut spielen wie ein virtuoses Geigenkonzert. Man kann sehr laut spielen und mit einem Dämpfer auch extrem leise. Das Flügelhorn hat einen melancholischen, weichen Klang, die Piccolo klingt sehr festlich – die Trompete kann einfach viele Rollen übernehmen. Natürlich spielen wir viel Barock und Klassik, und die Kombination Trompete – Kammerorchester ist sehr beliebt. Aber ich spiele auch oft nur mit Klavier, da gibt es viel romantische und zeitgenössische Literatur, und die Pianisten freuen sich, dass sie sich endlich mal nicht zurücknehmen müssen. Sehr interessant finde ich die Kombination Trompete – Schlagwerk, was ich mit Martin Grubinger machen werde.

Mieczysław Weinberg

Trompetenkonzert op. 94

Sergei Nakariakov, Jenaer Philharmonie, Andrei Boreyko

Teldec Classics

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Ist das Händel? Vivaldi? Ich würde dieses Stück auf einer Piccolotrompete spielen, und dass es auf einem größeren Instrument gespielt wird, deutet auf einen Orchestertrompeter hin. Einer aus Deutschland, die Töne sind sehr rund, im hohen Register gibt es eine gewisse Dunkelheit. Ich habe nur sehr wenig im Orchester gespielt. Das ist schon anders. Als Solist muss man sehr viel spielen. Im Orchester spielt man oft sehr intensiv, hat dann aber wieder lange Pausen. Das verlangt eine andere Kraft und Einstellung. Dies ist eine schöne Aufnahme! Gábor Tarkövi von den Berliner Philharmonikern? Ich dachte, ich kenne alle seine Aufnahmen. Mit Orgel zu spielen macht Spaß. Ich spiele viel mit Iveta Apkalna und mit Hedwig Bilgram, die 35 Jahre lang mit Maurice André gespielt hat. Wann kommt denn Maurice André, der größte Trompeter? Den würde ich am ersten Ton erkennen! Er war wirklich eine Legende. Wenn man bedenkt: In der Barockzeit war die Trompete sehr populär und hatte einen hohen Rang, dann wurde sie in der Zeit der Klassik zum Tuttiinstrument, bekam in der Romantik immer mehr Orchestersoli. Und dann kam Maurice André und hat gezeigt: Die Trompete kann wirklich allein auf der Bühne stehen. Seine Aufnahmen sind immer noch gültig, auch wenn man Barock heute anders spielt. Aber er hat immer getreu und überzeugend gespielt, er hatte Charisma und war ein netter Mensch. Mein Vorbild würde ich ihn nicht nennen, aber ich habe als Schüler nur Maurice André gehört, es gab nichts anderes. Dann kam Reinhold Friedrich, der ja auch mein Lehrer in Karlsruhe für zwei Jahre wurde. Er ist auch ein sehr wichtiger Trompeter und für mich einer der größten, auch als Musiker.

Antonio Vivaldi

Konzert F-Dur RV 455, arr. für Trompete und Orgel

Gabor Tarkövi, Peter Kofler

Tudor/Naxos

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Das kenne ich auch nicht. Schön! Ich habe eine Barocktrompete zu Hause, spiele aber nicht viel. Wie ich das Trompetenspiel unterrichte, ist einfach: Man muss einatmen und mit dem Instrument zusammen ausatmen und wenn man so denkt, dann ist es theoretisch das Gleiche, ob ich moderne oder Naturtrompete spiele. Wir holen Luft und müssen beim Ausatmen mit der Zunge, der Artikulation, der Luftgeschwindigkeit den Ton erstellen können. Auf der Naturtrompete muss die Intonation perfekt sein, weil es keine Ventile gibt. Sonst kommt sofort ein Kiekser. Auf der modernen Trompete wird erst der Ton schlecht, wenn ich ihn nicht richtig treffe, dann kommt der Kiekser. Natürlich ist es ein anderes Luftgefühl, weil eine Naturtrompete doppelt so lang ist. Aber es ist für jeden Trompeter eine gute Übung. Ich finde Naturtrompeten vor allem für Bach-Kantaten oder Sinfonien von Haydn und Mozart schön. Mein letztes Album habe ich mit der Cappella Gabetta aufgenommen, die auf historischen Instrumenten spielt. Die Musiker haben auf 440 Hertz gestimmt – und es hat wunderbar funktioniert! Ich finde diese Aufnahme hier wunderschön. Aber bei einer Aufnahme haben wir drei Mikrofone für den Trompetenklang: eines sehr nah, eines einen Meter entfernt und eines für den Raum. Wenn ich diese Klangqualität im Konzert haben will, muss der Raum perfekt sein, sonst funktioniert es nicht.

Alessandro Stradella

Sinfonia zur Serenade „Il Barcheggio“

Friedemann Immer (Barocktrompete), Concerto Köln

MDG/Naxos

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(nach dem ersten Ton) Ligeti! Davon gibt es nicht viele Aufnahmen. Sehr gut gespielt, das ist sehr schwer! An der Stimme erkenne ich ihn, wenn er hineinruft: Das ist Håkan Hardenberger. Zeitgenössische Musik zu spielen macht Spaß. Und es ist unsere Verantwortung als Musiker, Komponisten zu finden und zu animieren. Ich möchte nicht beurteilen, ob diese oder jene Musik gut ist. Aber wenn wir noch Publikum haben wollen, ist es gut, denke ich, wenn wir Melodien und Harmonien haben und wenn man spürt, hier fängt das Stück an und dort ist es zu Ende und dazwischen spannt sich ein dramaturgischer Bogen mit Emotionen. Wenn die Trompete festlich und laut und hoch spielt, ist das immer beeindruckend. Aber noch interessanter ist es, wenn Komponisten andere Farben finden, dunkle und melancholische, oder zwischen hoch und tief wechseln. Fazıl Say hat ein schönes Trompetenkonzert für mich komponiert, jetzt schreibt Penderecki ein Konzert für mich, und ich bin gespannt, was noch kommt.

György Ligeti

Mysteries Of The Macabre

Hakan Hardenberger, Roland Pöntinen

DG/Universal

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Zuletzt erschienen:

Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi, Georg Friedrich Händel

Festliche Trompetenkonzerte

Gábor Boldoczki, Sinfonia Varsovia, Franz Liszt Chamber Orchestra

Sony

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Arnt Cobbers, 11.10.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2014



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