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Wie macht er das, der in Nazareth geborene Sohn einer israelischen Familie, der Palästinenser ist und in einer Scheherazade-Welt aufwuchs, umgeben von den Gebetsaufrufen des Muezzin, Schreien der Lastesel, arabischen Liedern, Düften und Gerüchen von Zuckerwerk? Und ist das alles nicht Nährboden genug für eine schillernde Schizophrenie?
Ashkar lacht auf die Frage, ob eine weitere Persönlichkeitsspaltung da noch nötig sei: die Exkursion auf exterritoriales, auf abendländisches Terrain, hin zum Gebirge eines grundlegend anderen Musikverständnisses. Doch über diese Wendung war er sich schon mit sechs Jahren schlagartig im Klaren, als ein Freund des Vaters, Maler und Musiker, zu Besuch nach Nazareth kam, zwei Schallplatten und ein paar sowjetische Musikbücher mitbrachte und sein Vater das Auto verkaufte und ein Klavier anschaffte. Also: Ich werde Pianist – wie soll man diese über jede kindliche Entschlussreife hinausreichende Gewissheit erklären?
Vielleicht gilt für einen „geborenen“ Musikmenschen, egal woher er stammt, was für den Menschen von Natur aus gilt: Die Grundstruktur der Mathematik ist ihm eingegeben. Was das im Kulturverkehr und Kulturverzehr überreife Abendland für Klaviermusik von Mozart, Schubert, Brahms hält, ist in Wahrheit ein Kult des Vergleichens: Das aktuelle Hörerlebnis wird abgeglichen an den tausendfachen Erfahrungen, die man mit Gieseking, Horowitz, Barenboim gemacht hat (behauptet wohlgemerkt nicht der unbefangene Ashkar). Er aber spielt und verwandelt Note für Note und Zeichen für Zeichen die ganz und gar gegensätzliche Trias Mozart-Schubert-Brahms in klingend Ebenbürtiges, das aber im extremen Gegensinn von Pedanterie.
Er hat einen inneren Piloten für Tempo und Rhythmus, so unbeirrbar wie die Schwerkraft. Die Skala seiner farblichen und metrischen Abstufungen ist grenzenlos. Ashkar macht nicht das, was als vermeintlicher Gipfel der Interpretationskunst gilt: mit allen Kräften die Musik zum Ereignis zu machen. Bei Ashkar genießt Musik die Freiheit, sich selbst zu ereignen. Wer zuhört, lernt staunen – über Ashkar und über sich selbst.
Karl Dietrich Gräwe, 13.12.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2006
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