Seit einigen Jahren hat die Familie die Auswertung der Hinterlassenschaften des 1966 verstorbenen Vaters selbst aktiv in die Hand genommen, und was sie hier ausgegraben haben, ist vielleicht die bisher größte Sensation: In den Jahren 1962 bis 1966 entstanden diese privaten Tondokumente, die der technikbegeisterte Tenor im eigenen Haus aufzeichnete. Das Faszinierende: Auch diese Momentaufnahmen aus der heimischen Sphäre – bei den ungeschnittenen Bonustracks am Ende der CD hört man auch mal eines der Kinder nach dem Vater rufen – atmen vom ersten bis zum letzten Augenblick jenen unverwechselbaren Geist des Besonderen, ja immer wieder auch des schlichtweg Vollkommenen, der die meisten von Wunderlichs professionellen Produktionen prägt. Strauss’ „Ständchen“, „Cäcilie“ oder „Ich trage meine Minne“ würde man in dieser Interpretation wohl ohne lange zu überlegen gern gegen die meisten anderen Einspielungen eintauschen, denn Wunderlich ist auf der Basis seiner gewohnten gesangstechnischen Vollkommenheit jederzeit mit einer schier unfasslichen Konzentration und Ernsthaftigkeit bei der Sache: Keine Phrase entbehrt der individuellen Ausgestaltung, kein Wort fällt unbeachtet unter den Tisch, kein Ton erklingt einfach so um seiner selbst Willen. Da stört es weniger, dass gelegentlich im Klavierpart in Ausnahmefällen auch mal bei Wunderlich der letzte technische Finish fehlt, und man sieht darüber hinweg, dass Wunderlich aus Freude an den Möglichkeiten seines Tonbandgerätes hier und da ein wenig zu sehr am Hallknopf gedreht hat. Nein, man wähnt das Vermittlungsgenie Fritz Wunderlich neben sich im selben Raum.
Michael Wersin, 20.12.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2006
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