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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Gab Frankreich seine Barockmusik zurück: William Christie (c) Denis Rouvre/Les Arts Florissants

Pasticcio

Bon anniversaire, Mr. Christie!

Es lohnt sich immer, eine von seinen vielen Einspielungen aus dem CD-Regal zu ziehen. Doch im Vorfeld von William Christies 70. Geburtstag darf es schon mal eine Rarität wie Marc-Antoine Charpentiers Oper „David & Jonathas“ sein, die Christie 1988 aufgenommen hatte. Und wenn man sich die Besetzungslisten ganz genau anschaut, wird einem erneut klar, was der amerikanische Barockfan allein für die französische Alte Musik-Szene getan hat. Unter den Sängern tauchen etwa Dominique Visse, Jean-Paul Fouchécourt und Véronique Gens auf, die damals am Beginn ihrer Karriere standen. Und in Christies 1979 gegründetem Instrumentalensemble Les Art Florissants saßen mit Marc Minkowski (Fagott), Christophe Rousset (Cembalo) und Hugo Reyne (Blockflöte) kommende Pultkollegen, die ebenfalls mit der französischen Barockmusik erfolgreich durchstarten sollten.
Wenn sich jemand als Musiker um die Hege und Pflege des musikalischen Erbes der Grande Nation mehr als verdient gemacht hat, dann William Christie. Doch obwohl der Mann aus Buffalo/USA regelrecht vernarrt in die Klangwelten von Lully, Charpentier und Rameau ist, hat er nicht nur ihre Werke so ungemein farbig und voller Esprit und Würde dirigiert. Ähnliche Wundertaten gelangen ihm bei Monteverdi und Mozart, bei Purcell, Händel und Hasse. Und was für ein musikalischer Charmeur und Clown Christie außerdem noch sein kann, hat er mit seiner weiterhin unerreichten Aufnahme von Charpentiers Molière-Vertonung „Der eingebildete Kranke“ bewiesen.
Überhaupt geht Christie im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen aus dem historischen Aufführungsfach nicht mit dem musikantischen Rechenschieber an die alten Partituren heran. Bei ihm dürfen sie leben, atmen. Und dass der Musiktheatermann, der seit 1995 französischer Staatsbürger ist, auch live die Barockoper nicht als etwas Gestriges versteht, dokumentieren seine zahlreichen Zusammenarbeiten mit namhaften Regisseuren wie Claus Guth, Peter Sellars und Robert Carsen. Auch für diese neuen Hör- und Blickwinkel hat Christie zahllose Auszeichnungen erhalten. So ist er zum Officier im „Ordre des Arts et des Lettres“ geschlagen und 2010 in die „Académie des Beaux-Arts“ aufgenommen worden.
Am 19. Dezember und darüber hinaus feiert die Musikwelt also nun seinen 70. Geburtstag. Wobei Christie sich dafür vielleicht etwas positivere Vorzeichen gewünscht hätte. Denn wie jetzt das französische Städtchen Caen mitgeteilt hat, wird es ab 2016 und damit nach 25 Jahren seine Förderung von Les Arts Florissants einstellen. So fehlen dem Ensemble zwar jährlich über 300.000 Euro. Aber das Lamentieren lag Christie noch nie, im Gegenteil: Er war stets ein Macher. Und was herauskommt, wenn er richtig zupackt, kann man nicht zuletzt auf seinem Domizil in der Vendée oder einfacher noch unter www.jardindewilliamchristie.fr bestaunen: aus einem heruntergekommenen Gemäuer hat Christie da ein schmuckes Kulturgut samt historischem Barockgarten gemacht.

Guido Fischer



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