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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Souffleure der Wiener Staatsoper

Rettung aus der Muschel

Er ist der heimliche Herrscher der Oper. Auch wenn er in einem Kasten sitzt und für die meisten unsichtbar bleibt: Ohne ihn droht das Chaos. Dabei muss der Souffleur viel mehr sein als nur der Stichwortgeber vom Dienst: Arm des Dirigenten, Koordinator. Jochen Breiholz hat sich an der Wiener Staatsoper auf Spurensuche begeben.

Ganz schön eng hier unten. Nichts für Klaustrophobiker. Und die Bühne sieht man auch nicht, nur ein Pult – und davor eine Wand. Dann ein Knopfdruck, und es geht hydraulisch aufwärts, bis der Kopf von unten an die Souffleurmuschel stößt. Links ein Telefon mit Blinklicht statt Klingel und ein Monitor, der den ständigen Kontakt zum Dirigenten ga - rantiert. Rechts ein Abgrund. Früher, bevor der Minilift eingebaut wurde, waren da Treppen. Jetzt aber: Den Blick nach vorn, heraus aus dem Souffleurkasten! Da breitet sie sich aus, die Bühne der Wiener Staatsoper auf Kinnhöhe, riesig und von hier aus in ihren Grenzen kaum abschätzbar. Die Welt aus der Froschperspektive, jeder Nagel gewaltig, jeder Scheinwerfer winzig. Dort hinten steht im nüchternen Arbeitslicht das Schloss des Grafen Almaviva aus Jean-Pierre Ponnelles 35 Jahre alter „Figaro“-Inszenierung. Ein Maler überpinselt die schlimmsten Schrammen am ramponierten Bühnenbild, das für eine Aufführungsserie unter Riccardo Muti aufgefrischt werden muss. Techniker richten die bevorstehende „Falstaff“-Wiederaufnahme ein, während zwei Touristengruppen – eine italienische und eine japanische – die Geschichte des Hauses geflüstert bekommen und dabei fleißig auf den Auslöser drücken.
Auf dem Pult vor mir liegt das falsche Stück: „Ariadne auf Naxos“. Der Klavierauszug gehört Winfried Stelzmüller, der jede Seite dicht mit Bleistift beschrieben hat. Mehrere Zeilen über und unter jedem Notensystem. Wann genau er wem welches Stichwort geben muss. Welcher Sänger in diesem Takt den Einsatz eine Spur früher braucht. Wer in jener Phrase besondere Aufmerksamkeit verlangt. Wer gebremst werden muss. Namen aus 30 Jahren Aufführungsgeschichte. Jede Besetzung, die in dieser Produktion seit 1976 aufgetreten ist. Ein Souffleurleben auf Notenpapier.
Stelzmüller ist der Herr der Souffleure. Ursprünglich hatte er Musik auf Lehramt studiert. Doch er ging ans Theater an der Wien: acht Jahre im Chor und als Korrepetitor. Ein Freund machte ihn darauf aufmerksam, dass die Staatsoper einen Souffleur sucht. Stelzmüller war schnell davon überzeugt, für sich das Richtige gefunden zu haben. „Ich würde auch dirigieren können, ich hab das ja gelernt“, resümiert er heute. „Aber diese exponierte Position wäre nichts für mich. Ich fühl mich da unten in meinem Kasterl schon sehr wohl.“
Allerdings nicht immer: „In einer ,Cosí fan tutte‘- Vorstellung unter Karl Böhm vergaß eine Sängerin ihren Text und verschwand vor lauter Aufregung nach hinten, wo ich ihr nicht helfen konnte. Da ist der Böhm auf mich losgegangen. Seitdem ist mir die ,Cosí‘ versaut!“ Das Entscheidende sei es, genau zu wissen, wo die Fallstricke liegen. Etwa beim Judenquintett in „Salome“: „Man muss höllisch aufpassen, dass man die heil durchbringt. In der Regel geht es darum, die Sänger bei Laune zu halten, ihnen die Nervosität und Angst zu nehmen. Die meisten beherrschen ihre Partien. Wir soufflieren in jeder Atempause eines Sängers genau im Rhythmus den Beginn der nächsten Phrase. Wir sprechen immer mit. Irgendwann merkt man schon an der Körperspannung, ob jemand zu früh einsetzen wird. Am Ende der Vorstellung weiß man, was man verhindert hat.“

István Cserjan bestätigt das. Dreißig Jahre lang hat er aus dem Kasten heraus Sänger gerettet. Im Unterschied zu Stelzmüller begann er damit in einer Zeit, als es auf der Bühne noch vor Legenden wimmelte. Mario Del Monaco ist ihm nicht auf die Hand getreten, und auch die Schleppe Renata Tebaldis hat ihm nicht die Brille aus dem Gesicht gefegt. Trotzdem erinnert er sich an deren „grandiose Aufführungen“ noch ganz genau: „Das waren Stimmwunder!“ 1957 floh Cserjan vor dem Ungarnaufstand aus Budapest nach Wien, studierte Klavier und Dirigieren und kam über Auftritte in Bars, Nachtclubs und Kabaretts als Korrepetitor ans Theater an der Wien. Sir Georg Solti riet ihm, an der Staatsoper zu arbeiten. Hatte Cserjan als Student aus dem Stehparterre die Großen der Opernwelt erlebt, kam er ihnen nun in seinem Kasten ein ganzes Stück näher: „Ich weiß noch, dass mich Hilde Güden wie ein Richter aus ihren blauen Augen musterte! In der Pause meinte ein Kollege: ,Wenn die Güden sagt, du bist in Ordnung, dann wirst du engagiert!‘ Er hatte Recht.“
Mit Monsieur Taupe, dem Souffleur in Richard Strauss’ „Capriccio“, den keiner würdigt, solange er seine Arbeit tut, der erst „zum Ereignis“ wird, wenn er einschläft, weil dann die Solisten verstummen und das Publikum erwacht, kann sich Cserjan nicht identifizieren: „Wir haben eine extrem wichtige Funktion, die aber nicht vom Publikum wahrgenommen werden darf. Ich habe in meinen Anfängerjahren oft von suchenden, fragenden, verzweifelten Augen geträumt, die mich wie Scheinwerfer verfolgen. Die Verantwortung ist groß. Natürlich kann es undankbar sein. Die Regisseure sagen immer, der Souffleur ist zu laut, die Sänger beschweren sich, dass er zu leise ist. Allen recht machen kann man es nie. Man muss nur versuchen, Katastrophen zu verhindern.“ Was nicht immer funktionierte: „Bei ,Gianni Schicchi‘ gab es einmal ein solches Durcheinander, da war nichts mehr zu machen. Da hab ich nur noch gerufen: ,Jetzt seid’s alle am Oarsch!‘“
Fast 30 Jahre blieb Cserjan an der Staatsoper. „Damals gab es noch ein echtes Ensemble. Man konnte diese großartigen Sängerpersönlichkeiten in den verschiedensten Rollen erleben, auch in kleinen Partien. Stellen Sie sich vor: Christa Ludwig und Gundula Janowitz als zwei der acht Walküren! Purer Luxus. Und doch war das unser Opernalltag!“ Nicht jeder Abend war eine Sternstunde – aber fast jeder: „Wenn ich an Birgit Nilsson als Turandot denke: Die stand auf dieser unendlichen Treppe, die bis zum Hotel Sacher reichte und feuerte die unglaublichsten Töne ab. Oder Elisabeth Schwarzkopf als Marschallin im ,Rosenkavalier‘: Den dritten Akt machte ihr keine nach!“ Aber auch die Götter, wie Cserjan sie nennt, sind nicht unfehlbar. Und dann kam Cserjans Stunde, sie zu retten. Dann schnalzte er durchaus zweideutig mit der Zunge, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Was mitunter für Verwirrung sorgte. Eine junge Sängerin musste von einer Kollegin aufgeklärt werden: „Das heißt nicht, dass du heute super ausschaust und der nach der Vorstellung noch mit dir ausgehen will.“ Merke: Wenn das nächste Mal einer schnalzt, könnte es ein Souffleur sein.

Jochen Breiholz, 10.01.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2006



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