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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Willkommen und Abschied

Kent Nagano

Fünf Jahre lang prägte Kent Nagano die Geschicke des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Doch im kommenden Jahr stehen gleich zwei neue Herausforderungen an: als Chefdirigent des renommierten Orchestre Symphonique de Montréal und als GMD der Münchner Oper. Jörg Königsdorf wagte mit dem Maestro zusammen einen Blick zurück nach vorn.

RONDO: Herr Nagano, bevor Sie 2000 nach Berlin kamen, galten Sie eher als Dirigent der Moderne und des französischen Repertoires. In Berlin standen dagegen die Sinfonien Anton Bruckners im Zentrum Ihrer Konzerte. Haben Sie diese Musik in den letzten Jahren für sich entdeckt?

Kent Nagnao: Ganz so ist es nicht. Meinen ersten Bruckner-Zyklus hatte ich schon vorher zu meiner Zeit als Chef des Hallé Orchestra in Manchester absolviert. Mein Repertoire hat sich in Berlin gar nicht wesentlich geändert. Aber dennoch hatte ich beim Deutschen Symphonie-Orchester sofort das Gefühl, dass die Sinfonien Bruckners der beste Weg sind, die Klangpersönlichkeit des Orchesters hervorzubringen.

RONDO: Wie hat sich dieser Klang unter Ihrer Leitung entwickelt?

Nagano: Als ich hierher kam, dominierten im DSO noch die brillanten Bläserpulte. Wenn Sie das Orchester heute hören, fällt Ihnen sofort der warme und tiefe Streichersound auf, zu dem die Bläser als dunkelgoldene Farbe hinzutreten. Außerdem hat das Orchester in dieser Zeit zu einem gemeinsamen Atem gefunden, der für mich die Basis des ganzen Musizierens ist.

RONDO: Bedeuten diese dunkleren Farben auch, dass Ihr Bild von der deutschen Romantik düsterer geworden ist?

Nagano: Nein, überhaupt nicht. Dunkle Farben und Klangtiefe können etwas sehr Positives sein. Um diese Schönheit zu sehen, braucht man doch nur in die Natur zu blicken. Man braucht vor der Dunkelheit nicht unbedingt Angst zu haben.

RONDO: An Ihren Bruckner-Interpretationen fällt vor allem das Fehlen jeglicher Monumentalisierung auf.

Nagano: Ich misstraue dem Begriff des Monumentalen, weil er meist in der Bedeutung von etwas Unbeweglichem, Totem benutzt wird. Für mich ist die Form bei Bruckner immer belebt. Das ist wie in einer Kathedrale: Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude vielleicht nur wie ein Haufen toter Materie, aber dann bekommt man ein Gefühl für die immensen Energieflüsse, die eine enorme Spannung, ein Raumgefühl schaffen.

RONDO: Eine Spannung, die gerade in den Pausen fühlbar wird?

Nagano: Ja, für mich sind diese Augenblicke der Stille immens wichtig. Nie wird die Energie des Lebens so fühlbar, und in der Musik sind diese Augenblicke nicht nur strukturell, sondern auch spirituell von entscheidender Bedeutung. Bevor ich anfange zu dirigieren, vergegenwärtige ich mir immer zuerst die Stille.

RONDO: Diese Stille ist nirgends so stark auskomponiert wie in den Frühfassungen von Bruckners Sinfonien. Bevorzugen Sie deshalb diese immer noch selten gespielten Versionen?

Nagano: Ich möchte mich da nicht festlegen. Die dritte habe ich zuerst in der letzten Fassung dirigiert, fühle aber jetzt, dass all das Revolutionäre von Bruckners Stil in der Urfassung viel stärker hervortritt: die handwerkliche Perfektion, die abrupt abreißt und durch ein riesiges Fragezeichen unterbrochen wird, die robusten Tanzpassagen und Choräle, die plötzlich mit den Klängen einer urbanen Gesellschaft konfrontiert werden. Diese Zerrissenheit ist es doch, die unsere persönlichen Konflikte spiegelt und Bruckners Musik erst für uns relevant macht.

RONDO: Gilt das nicht auch für Mahler?

Nagano: Für mich sind Bruckner und Mahler grundverschieden. Gerade die achte Sinfonie, die ich zuletzt aufgenommen habe, ist für mich ein Schritt auf ein völlig neues Terrain: Die romantische Ich- Perspektive verbindet sich mit ihrer Überwindung. Im zweiten Satz habe ich oft das Gefühl, dass der Klang aus einer anderen Welt kommt, und gleichzeitig wird trotz des riesigen Apparates oft ein ganz intimer, kammermusikalischer Klang erzeugt und der Chor in zahllose Einzelpersönlichkeiten aufgespalten.

RONDO: Welches Programm haben Sie für das Orchestre Symphonique de Montréal im Kopf, das Sie ab 2006 übernehmen? Ein Anknüpfen an die französische Tradition von Charles Dutoit?

Nagano: Sicherlich wurde das Orchester lange durch Dutoit geprägt. Aber seine Tradition reicht viel weiter zurück und ist im Grunde sehr durch englisches und deutsches Repertoire geprägt. Um herauszufinden, wie der besondere Charakter dieses Orchesters am besten hervortritt, muss ich es allerdings noch besser kennen lernen. Das nächste Werk, das ich in Montréal dirigieren werde, ist allerdings Bruckners Neunte.

Neu erschienen:

Mahler

Sinfonie Nr. 8

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Kent Nagano

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Neu erschienen:

Bruckner

Sinfonie Nr. 6

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Kent Nagano

harmonia mundi

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Jörg Königsdorf, 07.02.2015, RONDO Ausgabe 6 / 2005



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