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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Klempner a.D.

Mark Murphy

Er ist einer der wichtigsten und originellsten Sänger des Jazz. Doch ungeachtet der unumschränkten Bewunderung seitens der Kollegenschaft und trotz seiner inzwischen sechs Grammy- Nominierungen gilt der 73-jährige Mark Murphy immer noch als Geheimtipp. Dank Till Brönner könnte sich das ändern.

Um die Bedeutung von Mark Murphy zu illustrieren, sollte man vielleicht noch mal die Ella-Fitzgerald-Anekdote hervorkramen. Sie trug sich zu, als Murphy einmal vor langer Zeit im Londoner Jazzclub „Ronnie Scott’s“ auftrat. „Ella kam zu mir auf die Bühne, und wir sangen gemeinsam“, erinnert sich der 1932 in Fulton/New York geborene Vokalist. „Ich hätte nie gedacht, dass sie das tun würde. Nach dem Konzert saßen wir dann noch ein bisschen zusammen.“ Kleine Kunstpause. „Und da bat sie mich um ein Autogramm.“ Später, beim Verlassen des Clubs, soll Ella zu den Umstehenden im Hinblick auf ihren Sangeskollegen bemerkt haben: „Er ist genauso gut wie ich.“
Außer der Bewunderung in Musikerkreisen hat Murphy das bemerkenswerte „He’s my equal“-Vorkommnis indes nicht allzu viel eingebracht. Eingeweihte wussten zwar schon immer, was sie an dem Bariton mit der höchst eigenständigen Technik hatten. Doch beim großen Publikum konnte sich der Sänger nur einmal richtig durchsetzen. 1963, als ihn seine für Riverside eingespielte Version von „Fly Me to the Moon“ landesweit in die USCharts brachte. Dummerweise war 1963 ausgerechnet das Jahr, in dem auch die Beatles mit „I Want to Hold Your Hand“ den amerikanischen Markt stürmten. Die Folgen waren dramatisch. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was das Sixities-Pop- Ding angerichtet hat. Es zerstörte schlichtweg 80 Prozent von dem, was im Musik- und Entertainment-Geschäft in den vergangenen 60 Jahren passiert war“, erläutert Murphy, der von Sammy Davis Jr. Ende der 50er Jahre entdeckt worden war, mit einem sarkastischen Lachen. Sein Stil, die Irrsinns-Scats und der eigenwillige Umgang mit Wortbetonungen, war über Nacht plötzlich nicht mehr gefragt. Er suchte sein Glück in Europa, versuchte sich mitunter als Schauspieler und nahm eine Reihe von geglückten Platten für eine Liebhaber-Kundschaft auf. Wie viele Mitschnitte derzeit in Archiven europäischer Rundfunkanstalten verstauben, möchte Murphy inzwischen gar nicht mehr so genau wissen. Es habe Punkte in seinem Leben gegeben, bemerkt der 73-Jährige, da habe er alles einfach hinschmeißen wollen. „Wenn mich jemand nach meinem Beruf gefragt hat, habe ich gesagt: Ich bin Klempner. Wenn ich Jazzsänger gesagt hätte, hätte das eh keiner verstanden oder gemocht.“
Das Jahr 2002 brachte Mark Murphy die Wende. Erneut spielte ein Jazzclub eine wichtige Rolle, das „A Trane“ in Berlin. Dort hatte der Amerikaner, der zu dieser Zeit auch sein eigener Manager und Impresario war, ein überraschendes Impromptu- Konzert anberaumt. Ein gewisser Till Brönner wurde bei dieser Gelegenheit in der Künstlergarderobe vorstellig. Eine folgenreiche Begegnung. In den folgenden Monaten sang Murphy in Brönners Studio unter Begleitung des Trompeters und des Pianisten Frank Chastenier eine Reihe von Standards ein. Das Ergebnis war eine Ansammlung von düsteren Balladen, die im Nachhinein von dezenten Streicher-Orchestrierungen der Arrangeurin Nan Schwartz aufgehellt wurden.
„Once to Every Heart“, die fertige CD, ist nun die denkbar beste Antwort auf all den Sorglosigkeits-Jazz, der derzeit die Regale in den Läden füllt. „Mit Till zu arbeiten war wie ein Traum davon, mit Miles Davis zu singen. Weil er dieses Einfühlungsvermögen für den Song hat, genauso wie Miles“, sagt Murphy. Und fügt für seine Verhältnisse geradezu euphorisch hinzu: „Seit Coltrane und Johnny Hartman hat es nicht mehr so ein enges Nebeneinander zwischen einem Sänger und einem Bläser gegeben.“ Keine Frage: eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Vor allem für den erstaunten Hörer. Dieser Mann ist einfach unvergleichlich.

Neu erschienen:

Once To Every Heart

Mark Murphy

Verve/Universal

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Josef Engels, 21.02.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2005



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