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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Musikstadt

Ein Rauschen im Silbermeer: Hamburg

Vor wenigen Wochen kürte die Zeitschrift „Opernwelt“ die Hamburgische Staatsoper zum „Opernhaus des Jahres“ und ehrte damit auch die Ära Metzmacher. Doch Hamburg ist eine Musikstadt im Umbruch. Die Karten an der Staatsoper und beim NDR-Sinfonieorchester sind neu gemischt, und mit dem geplanten Bau der Elbphilharmonie soll ein Konzertsaal der Superlative entstehen.

Selbst der „Pfeffersack“, der alte Hamburger Kaufmann oder Reeder, scheint etwas für die Tonkunst übrig gehabt zu haben. Zumindest gelegentlich, denn neben der Kirchenmusik, deren Vertreter bekanntlich einst versäumt haben, Johann Sebastian Bach in die Stadt zu holen (jetzt aber Geld für die Rekonstruktion einer so genannten „Bach- Orgel“ in der Hauptkirche St. Katharinen Spenden sammeln), war es vor allem die Oper am Gänsemarkt, die seit 1687 für musikalische Unterhaltung sorgte – und damit die erste öffentliche Oper Deutschlands darstellte. Als freie Reichsstadt war man keinem Fürsten Untertan, wollte aber doch auch ein wenig repräsentieren. Zur Zeit des Barock nahm diese Oper eine führende Stellung in Nordeuropa ein, denn Mattheson, Telemann und Händel, der als zweiter Violinist begann und dessen erste Oper „Almira“ hier 1705 uraufgeführt wurde, wirkten dort. Telemann ist sicher die bedeutendste Figur im Hamburger Musikleben dieser Zeit. Er war seit 1721 Kantor am Johanneum und damit auch musikalischer Chef der fünf Hauptkirchen. Er übernahm das von Matthias Weckmann gegründete Collegium Musicum und von 1722 bis 38 auch die Leitung der Oper.
Die Geschichte dieses Hauses mit zahlreichen Unterbrechungen und Nachfolgebauten endete vorerst in der heutigen 50er- Jahre-Schatulle an der Dammtorstraße, nahe dem Ort des Ursprungsbaus. Besonders der Innenraum (den man ja stundenlang aushalten muss) ist von so ausnehmender Hässlichkeit, dass man bedauert, nicht wie im Konzert die Augen schließen zu können. Doch vielleicht fördert gerade das die Konzentration auf das Geschehen auf der Bühne: In diesem Haus wurde und wird einiges auf die Bretter gestellt. Rolf Liebermann prägte als Intendant mit einer Unterbrechung 18 Jahre lang die Nachkriegsinszenierungen, GMD Ingo Metzmacher jüngst fünf Jahre lang ein Musiktheater, das sich erfolgreich der Moderne annahm und sich um Popularität, besonders bei jüngeren Zuhörern, bemühte. Metzmachers Engagement brachte der Hamburgischen Staatsoper erst unlängst den schönen Ehrentitel „Opernhaus des Jahres“ ein. Das Philharmonische Staatsorchester, der Klangkörper der Hamburgischen Staatsoper, hat mit ihm einen jugendlich- engagierten Chef gehabt. Er focht auch gegen das, was in der Branche gern das „Silbermeer“ genannt wird: das Publikum ab 60 aufwärts, auf das so mancher Interpret gerade in dieser Stadt von der Rampe aus blickt. Jugendliche sucht man bei den klassischen Abonnementkonzerten nämlich häufig vergeblich.
Metzmachers Nachfolgerin ist ab dieser Spielzeit die Australierin Simone Young, die damit zum ersten Mal ein eigenes Orchester übernimmt. Sie gilt in der Hansestadt noch als weitgehend unbeschriebenes Blatt und wird sich hier ihre musikalischen Verdienste erst erwerben müssen. Was vielleicht insofern nicht so schwer sein wird, da sie eher als Vertreterin eines konservativen Programms mit Schwerpunkt 19. Jahrhundert gilt. Das Premierenprogramm für diese Saison verzeichnet als Erstes „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith, Mozarts „Idomeneo“, „A Midsummer Night’s Dream“ von Benjamin Britten sowie Verdi („Simone Boccanegra“) und Donizetti („La fille du régiment“). Und dann ist da natürlich noch der weltberühmte John Neumeier, der gebürtige Amerikaner, der seit 1973 das Hamburg Ballett an der Staatsoper leitet und für Merkwürdigkeiten wie eine getanzte „Matthäus-Passion“ sorgte wie auch bejubelte Inszenierungen („Endstation Sehnsucht“, „Schwanensee-Illusionen“) aufstellte. Seine neueste Produktion kommt Anfang Dezember auf die Bühne: Er inszeniert Mahlers 7. Sinfonie; „Lied der Nacht“ nennt sich das Vorhaben, bei dem Neumeier auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich zeichnet. Neues, Epochales und Unerhörtes wie zum Beispiel Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (1997 unter Lothar Zagrosek uraufgeführt) ist also im Moment selten im Programm – das Silbermeer goutiert so etwas auf Dauer doch nicht so recht.

Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts fehlte es in Hamburg an einem repräsentativen Konzertsaal.

Auch wenn sich mit der Oper Staat machen ließ und lässt: Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts fehlte es in Hamburg an einem repräsentativen Konzertsaal, um die umherreisenden Virtuosen nicht in Bierhallen empfangen zu müssen. Erst der Reeder Carl Heinrich Laeisz (sprich Leis) und seine Frau Sophie Christine waren es, die den Hamburgern einen Konzertsaal mit 1600 Plätzen spendierten – und einen kleinen Saal mit 600 Plätzen. Das in gediegenem Neo-Barock errichtete Gebäude wurde am 4. Juni 1908 feierlich eingeweiht. Sicher einer der schönsten Schuhkartons mit eingebauter Orgel, der jemals gebaut wurde. Eine gewisse Repräsentation ist auch an dieser Stelle notwendig, denn man sieht sie in diesen Hallen auch heute noch, freundliche, graumelierte und weiße Herren im kobaltblauen Anzug mit dezent behängter Gattin am Arm, die „Pfeffersäcke“, von denen etliche ins Konzert gehen, um von ihren Sitznachbarn und ein paar anderen Bekannten gesehen zu werden. Immerhin, sie zahlen gut, und das ist auch eine Form der Kulturförderung. Und dank Laeiszhalle kamen sie auch häufig und gern nach Hamburg, bedeutende Solisten wie Vladimir Horowitz, Alfred Brendel, Maria Callas etc. Der Name Laeiszhalle war übrigens in der Anfangszeit inoffiziell und ging im Laufe der Zeit immer mehr verloren, erst im Januar dieses Jahres erhielt die „Musikhalle“ offiziell diesen alten Namen – die Stifter konnten sich ein ewiges Denkmal setzen.
Der bedeutendste Klangkörper der Stadt ist das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks. Hans Schmidt-Isserstedt hat das Orchester nach dem Krieg geformt und zahlreiche Aufnahmen hinterlassen – sein Name wird heute mit einer gewissen Ehrfurcht ausgesprochen. Günter Wand, Chefdirigent von 1982 bis 91, avancierte in seinen späten Jahren zu einer weltweit anerkannten Koryphäe der Bruckner-Interpretation. Christoph von Dohnanyi, Bruder des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi und Enkel des Komponisten Ernst von Dohnanyi, löste unlängst den seit 1998 amtierenden Christoph von Eschenbach ab. Dohnanyi kam aus Cleveland, wo er das dortige Orchester 18 Jahre lang geleitet und in die internationale Spitzenklasse bugsiert hat – Dohnanyi ist hier bestens bekannt und beliebt und wird vom Hamburger Publikum als eine echte Bereicherung empfunden.
Die Hamburger Symphoniker, das zweite Orchester der Stadt, spielen ebenfalls in der Musikhalle, seit Oktober vergangenen Jahres unter der Leitung des Russen Andrey Boreyko. Das Orchester nimmt sich löblicherweise gern der klassischen Moderne und der Neuen Musik an. So stehen immer wieder Kompositionen von Alfred Schnittke, der seine acht letzten Lebensjahre in der Hansestadt verbrachte, auf dem Programm. Übrigens haben auch andere Komponisten in unseren Zeiten Hamburg als ihre Heimat gewählt, so György Ligeti, der von 1973 bis 89 an der Musikhochschule unterrichtete. Niemand wird bestreiten, dass es Hamburg nicht mit dem Konzertleben von Berlin, mit den Traditionen von Leipzig oder der kosmopolitischen Szene Londons aufnehmen kann – mit dem man sich hier traditionell lieber vergleicht als mit dem proletarisch-lauten Berlin. Was Hamburg im Jahre 2005 aber zu einer interessanten Musikstadt macht, ist der Wechsel an vielen Orten und – was den Konzertsaal-Bau angeht – eine ähnliche Situation wie vor 100 Jahren. Das Zauberwort in dieser Zeit heißt Elbphilharmonie! Sie ist repräsentativer Teil eines der oder des größten städtebaulichen Projekts auf dem alten Kontinent: der Hafencity. 155 Hektar ehemaligen Hafenund Industriegeländes südlich und östlich der historischen Speicherstadt aus Backstein werden mit Büros und Wohnungen bebaut, eine willkommene Spielwiese für Architekten und Selbstverwirklicher. Der Kaispeicher A, ein massiver und für sich genommen ziemlich langweiliger Backsteinbau, in den Jahren 1963 bis 66 errichtet, ragt an einer Landspitze auf die Elbe hinaus und soll bis zu einer Höhe von 103 Metern mit einem „schwingenden“ Glaskasten überbaut werden, der 2200 Plätze im großen und 600 im kleinen Saal bieten soll. Der Speicher darunter wird zum Parkhaus. Bedarf an einem neuen Konzertsaal ist da, die Laeiszhalle ist mit 600 Veranstaltungen im Jahr, zu denen auch Jazz- und Popkonzerte gehören, ausgelastet. Eine Konkurrenzsituation will man allerdings vermeiden, denn die könnte ruinös werden. Eher ist an eine gemeinsame Intendanz beider Häuser gedacht.
Hamburg bekäme ohne Zweifel ein neues Wahrzeichen, ähnlich der Oper von Sydney. So ist es von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron und dem Initiator Alexander Gérard gedacht. Wenn das Geld zusammenkommt – auch hier hofft man auf Stifter und hat bereits eine großzügige Spende des Hamburger Mäzenaten- Ehepaars Greve über 30 Millionen Euro zur Verfügung –, soll im Frühjahr 2009 der Taktstock zum ersten Mal gehoben werden. Spektakulär ist die Sache allemal, und der Ausblick könnte fantastisch werden.

Vom "Onkel Pö" in die Welt: Die Hamburger Jazzszene

Hamburg hat auch eine lebendige Jazzszene zu bieten. Die älteren Semester werden sicher wehmutsvoll an das „Onkel Pö“ zurückdenken, jene legendäre Jazzkneipe im schicken Stadtteil Eppendorf. Hier begannen Weltkarrieren, unter anderem die von Al Jarreau, der am Tag nach seinem ersten Auftritt Besuch von NDR-Jazzredakteur Michael Naura bekam, der ihn dann auch gleich zu einer Aufnahmesitzung mitnahm. Größen wie Chet Baker und Dizzy Gillespie spielten in den 70er und 80er Jahren im „Onkel Pö“, in dem sich heute nur noch ein Restaurant befindet. Heute pilgert man in den „Cotton Club“ oder ins „Birdland“, und die Namen lassen erahnen, dass in Ersterem eher Traditionen wie der New-Orleans-Stil, in Letzterem eher Jüngeres und die Avantgarde gepflegt werden. Auch im Bereich Jazz spielt der NDR eine wichtige Rolle: Der Sender für den Norden engagiert sich mit seiner Bigband (früher Studioband genannt) seit 1955 mit einem führenden Ensemble.

Matthias Reisner, 21.02.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2005



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