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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Harald Hoffmann/DG

Pablo Heras-Casado

Auf die Liebe!

Der spanische Dirigent kann einfach alles – auch Motetten und Magnificat-Vertonungen vom Praetorius-Dreigestirn Michael, Jacob und Hieronymus.

Gleichgültig, wann man sich in seinen für jedermann zugänglichen Terminkalender einloggt – stets ist man verblüfft, welchen Projekten Pablo Heras- Casado sich erst gerade wieder gewidmet hat. Nach einer Aufführungsserie der von ihm uraufgeführten Oper „El público“ am Madrider Opernhaus war er unlängst mit dem Freiburger Barockorchester unterwegs. Quer durch die USA ging es danach mit der San Francisco Symphony und Pianist Igor Levit. Und vor der Opernpremiere von Verdis „La Traviata“, die Rolando Villazón in Baden-Baden inszeniert, machte Heras-Casado noch einen Abstecher zum Kölner Acht Brücken-Musikfestival und dirigierte das Pariser Neue Musik-Ensemble intercontemporain.
Als musikalischen Allesfresser hat sich der Spanier einmal bezeichnet. Und tatsächlich scheint es aktuell keinen zweiten Dirigenten seines Kalibers zu geben, der so stilsicher auf wirklich allen musikalischen Hochzeiten tanzen kann. „Für Pablo ist Musik Musik, ob alte, ob neue“, stellte einmal einer seiner Mentoren, der Komponist und Dirigent Peter Eötvös, fest.
Diese ganz unterschiedslose Beschäftigung mit musikalisch scheinbar völlig gegensätzlichen Welten hat Heras-Casado nicht in die Wiege gelegt bekommen – der Vater war Polizist, die Mutter Hausfrau. Aber schon als Knabensopran kam er in Berührung mit der polyphonen Musik der Renaissance und gründete dann während seines Studiums der Kunstgeschichte mit der „Capella Exaudi“ sein erstes Ensemble für Alte Musik. Nachdem er parallel auch die Musik von Anton Webern für sich entdeckt hatte, stellte er mit „Sonóora“ ein Team ausschließlich für die zeitgenössische Musik zusammen.
Nach den jüngsten Uraufführungen in Madrid und Köln schlägt der gebürtige Andalusier nun auf Tonträger den Bogen wieder zeitlich weit zurück, bis ins frühe 17. Jahrhundert. Aus dieser Epoche sind Heras-Casado Chorwerke der deutschen Komponisten Michael, Jacob und Hieronymus Praetorius in die Hände gefallen, denen allesamt Texte aus dem biblischen Hohelied der Liebe zugrunde liegen. Da preist etwa Jacob, seines Zeichens Sohn des Hamburger Organisten Hieronymus Praetorius, in seiner Motette „Quam pulchra es“ und mit herrlichem dahinströmenden Gesang all die äußerlichen Reize der alttestamentlichen Angebeteten. Auch Jacobs’ Vater beherrschte das musikalische Preisen holder Weiblichkeit. Und der mit seinen Namensvettern nicht verwandte Michael Praetorius verstand es gleichermaßen, das in der lateinischen Vulgata „Canticum canticorum“ besungene Verlangen kunstvoll erlesen und sinnlich in Musik zu gießen.
Dass dieses Repertoire, das man auf dem Papier wohl leichthin als Nischenprogramm bezeichnen würde, jetzt in voller Schönheit und Innigkeit erstrahlt, liegt natürlich auch an der Idealbesetzung, die hier zusammenfand. Mit dem Balthasar-Neumann- Chor und –Ensemble hat Heras-Casado eine der schon lange führenden Originalklang-Formationen zur Seite. Mit der Aufnahme ging für ihn daher auch gleich doppelt ein Traum in Erfüllung. Denn nachdem Heras-Casado mit den 17 Sängern und 13 Instrumentalisten bereits bei einer Opernproduktion von Donizettis „Liebestrank“ zusammengearbeitet hatte, wollte er diese ihm ans Herz gewachsene protestantische Musik unbedingt auch einmal mit den Neumännern einspielen. „Von Donizetti zu Praetorius – das ist ein großer Sprung“, gibt der Dirigent unumwunden zu. „Aber das Ensemble geht ganz natürlich damit um – genau wie ich.“ Ende Mai springt man dann gemeinsam und ganz selbstverständlich wieder in die andere Richtung – mit Verdis „Traviata“ in Baden-Baden.

Neu erschienen:

Praetorius

Pablo Heras-Casado, Balthasar-Neumann-Chor Balthasar-Neumann-Ensemble

DG/Universal

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Erotische Klang-Körper

Schon ein Giovanni Pierluigi da Palestrina hatte die nicht gerade jugendfreien Schlüpfrigkeiten erkannt, die sich durch das alttestamentarische „Hohelied der Liebe“ ziehen: „Es gibt viel zu viele Gedichte, deren einziger Gegenstand eine Liebe ist, die dem christlichen Glauben ganz fremd ist”, stellte er daher auch im Vorwort seines 4. Motetten-Buches fest, das er Papst Gregor XIII. widmete. Dennoch sündigte er gerne und vertonte Texte aus dieser Sammlung von Liebesliedern, die wahrscheinlich aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. stammt. Als „Canticum Canticorum“ (lateinisch) bzw. „Shir Hash-Shirim“ (hebräisch) wird dieses „Hohelied“ bezeichnet und erzählt in 117 Versen und in mal blumiger, mal in eindeutiger Sprache von den (heißen) Sehnsüchten und Fantasien zwischen einem Mann und einer Frau. Natürlich wurden diese Bibeltexte gerade im Mittelalter von der Kirche radikal uminterpretiert und als Geschichte von der Liebe des Herrn Jesus Christus zu den Seinen verkauft. Aber nicht nur Palestrina war vom eigentlichen Geist des „Hoheliedes“ derart begeistert, dass er knapp 60 Verse daraus in rund 30 Motteten vertonte. Ob Monteverdi oder Penderecki, ob Michael Praetorius, Heinrich Schütz oder zeitgenössische Komponisten wie Ivan Moody und Nico Muhly – sie alle haben sich mit den Texten beschäftigt, bei denen Palestrina angeblich vor Scham errötet sein soll.

Guido Fischer, 16.05.2015, RONDO Ausgabe 3 / 2015



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