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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Thomas Grube/Sony

Cameron Carpenter

„Ich bin die Lisa Simpson der Orgel-Welt“

Der glamouröse Organist sprach mit uns über kosmischen Bach, seine Lust auf Technicolor – und warum jeder Bach-Spieler ein bisschen Masochist ist.

RONDO: Herr Carpenter, Ihr neues Album „All You Need Is Bach“ könnte doch auch heißen: „My Favorite Bach“. Also: „Mein liebster Bach“?

Cameron Carpenter: Hm, mal überlegen. Nö! Vorlieben sind für mich nicht entscheidend. Jede Auswahl von Bach-Werken nimmt von selbst kosmische Dimensionen an, das ist bei dem Komponisten gar nicht zu vermeiden. Angenehm ist das nicht unbedingt, denn da kann man sich als Musiker schon einige Blessuren zuziehen. Ich sage Ihnen was: Bach ist die Erfindung der Quetschung und der blauen Flecken in der Musikgeschichte! Zumindest für Organisten.

RONDO: So schlimm?

Carpenter: Bach enthält alles Herrliche und alles Negative, was die Welt zu bieten hat. So muss es sein, denn Bach besaß kein harmonistisches, sondern ein christliches Weltbild, in dem alles Leid des Menschen mitgedacht ist. Wenn man der großartigen Bach-Monographie von John Eliot Gardiner folgt, von der es, glaube ich, noch keine deutsche Übersetzung gibt, so schwingen in Bachs Kompositionen oft auch noch private Schwierigkeiten und Probleme mit. Nicht alles bei Bach ist freudvoll oder schön. Warum auch?!

RONDO: Wenn man Sie Ihrerseits auf dem Podium arbeiten sieht – mit Händen und Füßen gleichzeitig –, wirkt das durchaus strapaziös. Auch mit Ihrer neuen Touring-Orgel?

Carpenter: Ist besser geworden! Die Touring-Orgel hat zur Folge, dass ich meine Auftrittspläne anders anlegen muss, weil das Instrument auf langen Wegen langsamer ist als ich. Große Teile des Instrumentes müssen verschifft werden, wenn ich in Amerika spiele. Ein anderer Teil existiert doppelt – sonst wäre es noch komplizierter. So sind an die Stelle der Unzuverlässigkeit der Instrumente vor Ort, die oft schlecht gepflegt sind, andere Probleme getreten. Was soll’s?! Wir Organisten haben ständig mit Drangsalen vor Ort zu kämpfen. Die habe ich jetzt immerhin besser unter Kontrolle. Übrigens habe ich eine so kurze Aufmerksamkeitsspanne, dass ich schlechte Erfahrungen immer gleich wieder vergesse.

RONDO: Klingt trotzdem ein bisschen masochistisch

Carpenter: … Neben Bach muss sich jeder schwach vorkommen. Seine Orgelwerke sind Schulstunden für jeden Organisten. Wer Bachs Trio-Sonaten oder die große Passacaglia spielen kann, dem kann nichts mehr passieren. Bach war ein Leben lang angestellt und hat Autoritäten gedient. Auch das finde ich lehrreich. Kurzum, man sollte sich nicht nur mit seinen Steckenpferden beschäftigen. Mein Lieblingskomponist ist keineswegs Bach, sondern, nebenbei gesagt, Percy Grainger. Trotzdem gibt Bach mir mehr.

„Mein Gott heißt Bach!"

RONDO: Bach war ein religiöser Mensch. Und Sie? Spielen Sie Bach anders, falls Sie nicht religiös sind?

Carpenter: Tatsächlich bin ich nicht gläubig und ich würde mich gar nicht wundern, wenn Bach sogar Schwierigkeiten mit der Art hätte, wie ich seine Werke spiele. Das Problem ist: Ich sehe den Tod anders an als er. Mein Bach klingt mehr nach Technicolor – und auch halluzinierender als bei anderen. Ich tue das aber nicht aus Respektlosigkeit. Mein Gott heißt Bach! Und genau das hätte Bach nicht akzeptiert.

RONDO: Ihre CD enthält auch Orgel- Arrangements zum Beispiel der 1. Französischen Suite, ursprünglich geschrieben für Cembalo. Könnten Sie sich das ganze Bach-Oeuvre auf dem Bearbeitungswege zu eigen machen?

Carpenter: Ja, das würde funktionieren, wenn man mit Fleiß und Hartnäckigkeit zu Werke geht. Als Amerikaner würde ich spontan so sagen: Ich bin die Lisa Simpson der Orgel-Welt! Ich bin ein Nerd und habe vielleicht nicht viele Freunde … Aber ich habe trotzdem Spaß! Die Orgel ist für mich ein Bild des gesamten Universums – einige schwarze Löcher mit eingerechnet. Ich glaube, dass es innerhalb des Bach’schen Werkes keinen Zufall gibt. Selbst dass er während der Komposition der „Kunst der Fuge“ starb, kann kein Zufall sein. Das bedeutet etwas. Nur was?!

RONDO: Warum gibt es in Amerika keine so ausgeprägte Bach-Aufführungstradition wie bei uns?

Carpenter: Der Grund ist ganz einfach: Amerikaner singen zu wenig gemeinsam. Es gibt keine große Chor-Tradition so wie in England oder Deutschland. In den USA singt man höchstens Wahlkampfsongs, falls man für die entsprechende Partei votiert. Wir Amerikaner lassen singen – oder Orchestermusik spielen. Unser Herz schlägt eher für Filmmusik zu „Casablanca“ oder zu „Lord Of The Rings“.

RONDO: Begleiten Sie deswegen so gerne Stummfilme im Berliner Kino „Babylon“?

Carpenter: Ganz genau. Ich schwärme für Kino-Orgeln, übrigens auch für Kaufhaus-Orgeln, wie es sie in Amerika häufig gab. Das sind Breitwand- Instrumente, die mein Bild der Orgel wesentlich geprägt haben. Ich spiele darauf so oft es geht. In Berlin habe ich im Kino etliche Stummfilme wie etwa „Nosferatu“ und „Das Kabinett des Doktor Caligari“ live begleitet. Und möchte das gerne fortsetzen.

RONDO: War „Nosferatu“ Zufall? Oder hängt es damit zusammen, dass Sie selber sich zuweilen ein leichtes Vampir-Ansehen geben?

Carpenter: Eher nicht. Ich bin nicht einmal sicher, ob mir diese Assoziation gefallen sollte. Es stimmt, dass ich mir bewusst zuweilen ein etwas artifizielles Aussehen gebe. Früher bin ich zum Ausgleich vor meinen Konzerten ins Foyer gegangen, um das Publikum persönlich zu begrüßen. Ich stilisiere eine gewisse Außenseiterrolle, die man als Organist ohnehin nicht los wird. In der Kirche bin ich der Mann hoch oben auf der Empore, der mit dem Rücken zum Publikum spielt. Durch Glitzerabsätze und Schlangen-T-Shirts versuche ich, meinen Auftritt etwas farbiger zu gestalten. Aber ich weiß sehr wohl, dass das alles nur Äußerlichkeiten sind.

Neu erschienen:

All You Need Is Bach

Cameron Carpenter

Sony

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Bach im Glitzeroutfit

Cameron Carpenter, geboren 1981 in Meadville/ Pennsylvania, gilt als einer der virtuosesten und exzentrischsten Organisten der Welt. In hautengem Glitzeroutfit und mit Irokesen-Schnitt hat er seinem Instrument zweifellos neue Publikumsschichten erschlossen. Gern setzt er für unspielbar gehaltene Werke von Dupré, Duruflé und Demessieux aufs Programm. Carpenter lebt in Berlin.

Robert Fraunholzer, 11.06.2016, RONDO Ausgabe 3 / 2016



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