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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Mehr Licht! Szene der Inszenierung in Basel (c) Sandra Then/Theater Basel

Pasticcio

Guckt mehr Stockhausen!

Erben halten sich hoffentlich an den letzten Wunsch des Verstorbenen und kümmern sich nach besten Wissen und Gewissen um den Nachlass. Doch wie auch der Kulturbetrieb immer wieder lehrt, gibt es Hinterbliebene, an denen man sich regelrecht die Zähne ausbeißt. So vehement verteidigen sie das ihnen überlassene geistige Eigentum gegenüber möglicherweise verunstaltenden Interpretationen. Die Brecht-Tochter Johanna Schall war so eine unerbittliche Ansprechpartnerin selbst für verdienstvollste Regisseure. Am Theater Basel geht es aktuell zwar nicht um Brecht, sondern um Karlheinz Stockhausen. Doch der entflammte Streit zwischen der Stockhausen-Witwe Suzanne Stephens und eben der Baseler Intendanz um den geplanten Live-Stream von einer Stockhausen-Oper am heutigen Samstag wirft schon ein merkwürdiges Licht auf die sich selbst auferlegte Deutungshoheit so mancher Nachlassverwalter. Streitobjekt ist „Donnerstag“, das erste Teilstück aus dem Opern-Opus-Magnum „Licht“, an dem Stockhausen ab 1981 arbeitete. Im Juni wurde nun am Baseler Theater „Donnerstag“ nicht nur erstmals in der Schweiz gezeigt. Die Kritiken waren durchweg glänzend. Und gerade erst wurde die von Lydia Steier inszenierte Produktion von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur „Aufführung des Jahres“ gewählt.
Um aber nicht nur das Publikum aus der Region in den Genuss dieser selten zu erlebenden, weil aufwendigen Oper kommen zu lassen, hatte man mit der Stockhausen-Stiftung als erste Ansprechpartnerin eine Live-Übertragung im Internet vereinbart. Leider nur wurde die Zusage lediglich mündlich und per Mail erteilt. Im Aufführungsvertrag steht hingegen nichts davon. Und so versuchte die Stockhausen-Stiftung vor allem in Person von Suzanne Stephens, dieses Live-Streaming kurzerhand zu verhindern, da man unter der Hand so seine Schwierigkeiten mit der Aufführung hatte. Selbst eine Unterlassungsaufforderung war daher dem Theater ins Haus geflattert. Dieses Störfeuer fand Intendant Andreas Beck wenig witzig, wie er Mitte der Woche noch erklären ließ: „An allen Vorbereitungen, Proben, der Premiere und der zweiten Vorstellung ist mit Kathinka Pasveer ein Mitglied der Stockhausen-Stiftung vertreten wie beteiligt gewesen. Sie und alle anderen an der Produktion beteiligten Künstler und Künstlerinnen wünschen, dass das Streaming stattfindet.“ Nun aber haben sich die Parteien schlussendlich auf einen Kompromiss geeignet, der in dieser Form ein Novum ist. Die Stockhausen-Stiftung hat dem Live-Stream zugestimmt – unter der Bedingung, dass man seine weiterhin bestehenden inhaltlichen wie ästhetischen Einwände im Rahmen des Streams veröffentlichen und damit zur Diskussion stellen kann. Was auch immer während oder nach der Aufführung da vorgebracht werden wird: wir freuen uns auf die Inszenierung und schalten am 1. Oktober um 16 Uhr ein bzw. melden uns dafür rechtzeitig beim Medienpartner des Theaters unter www.sonostream.tv an.

Reinhard Lemelle



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