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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Caroline de Bon

Matthias Goerne

Der Welten-Wanderer

Der Bariton Goerne steht im Zenit seiner Karriere. Eine Begegnung vor der „Wozzeck“-Premiere bei den Salzburger Festspielen.

Wir treffen uns zum Interview am Bühneneingang des „Haus für Mozart“. Wenige Tage vor der Premiere von Alban Bergs „Wozzeck“ kommt Matthias Goerne bei schönstem Salzburger Sommerwetter mit dem Rennrad angekurvt. Wir gehen in seine Garderobe. „Das ist nichts Dolles hier“, entschuldigt er das schmucklose Zimmerchen.

RONDO: Wenn man Ihren Terminplan betrachtet, kommt man ins Grübeln: Da wechseln sich schwerste Wagner-Partien mit Liederabenden ab. Auch ihre nächsten beiden Einspielungen besetzen die Ränder des Repertoires: Bachkantaten und Wagner-Szenen. Wie ist so ein stimmlicher Spagat möglich zwischen historisch informiertem Bach, Schubert, Mahler und Berg?

Matthias Goerne: Das ist extrem, jaja. Als ich die Bach-Tournee mit den Freiburgern gemacht habe, da hatte ich gerade in den letzten Vorstellungen von „Siegfried“ in Hongkong die Partie des Wanderers gesungen und danach sechs Liederabende in Paris mit Leif Ove Andsnes. Aber das geht! Wenn man freilich nur dieses Wagner- Repertoire oder solche Brecher wie „Wozzeck“ singt, dann funktioniert es nicht. Dadurch aber, dass im Gehirn gespeichert ist, wie sich die Rückentwicklung des riesigen Stimmklangs anzufühlen hat, ist das möglich. Denn der Weg rückwärts geht nur über die Erinnerung und die ist auch muskulär. Das fühlt sich am Anfang nicht so toll an, etwas unbeweglich und so, als ob man markiert. Diese Neu-Justierung dauert dann ein paar Tage, denn die Muskulatur, die man für das schwere Fach braucht, braucht man für das leichtere Fach nicht, und dann muss die für Bach so schnell wie möglich verschwinden.

RONDO: Das Umdenken von Wagner zu Schubert und Bach zu Berg ist für Sie nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wie schaffen Sie das?

Goerne: Es ist ein absoluter Balanceakt, und der ist nur möglich, wenn einem sehr bewusst ist, wie Singen funktioniert. Mit Intuition kommt man da wenig weiter, eher auf der stilistischen Ebene, aber nicht in der Bewältigung der irdischen Mühen, die es dabei zu nehmen gilt. Wichtig ist das analytische Hören, aber das setzt ein sehr, sehr großes theoretisches Wissen voraus. Man weiß heute ja fast alles, was die Muskeln beim Singen machen, und zwar mithilfe bildgebender Verfahren. Wir wissen genau, wie dieser hoch komplexe Vorgang abläuft, wie der Kehlkopf bei welchen Vokalen steht, wie sich der Kehldeckel verhält, wie die Stellknorpel und wie die Stimmbänder in welcher Situation schwingen.

RONDO: Nicht viele Ihrer Kollegen halten sich so dauerhaft wie Sie, sondern stürzen ab in häufig irreparable Krisen. Es heißt oft, das Management zwinge Sänger zur Überforderung, weil der Markt so gierig ist?

Goerne: Ach was, es sind nicht die anderen, es hapert immer an der Eigenverantwortung! Ich entscheide doch letztlich, es ist mein Leben, niemand zwingt mich, den Wanderer zu singen! Diese Eigenverantwortung ist ein ganz wesentlicher Teil des Geschäfts. Es ist ein Teil jener spezifischen Intelligenz für den Beruf, die man hat oder nicht. Und selbst wenn man sie hat, ist man nicht immer davor gefeit, eine Situation zu unterschätzen, oder sich zu überschätzen …

RONDO: Sie haben seit Ihrem Studium keinen Gesangslehrer mehr und offensichtlich noch nie eine Stimmkrise bewältigen müssen?

Goerne: Eine richtige Krise hatte ich noch nicht, ich kenne es aber auch, dass man mal einen Infekt hat und den nicht ganz ernst nimmt. Dann hängt das ein paar Wochen in der Stimme und das merkt man. Dann gibt es nur eins: Man muss absagen, um Ruhe reinzukriegen. Oder es kommt das Gefühl einer Schwere auf, der Gedanke: Komisch, diese Stelle hab ich immer so locker gesungen. Das passiert auch, aber da muss man die Kirche im Dorf lassen.

RONDO: Kann man sich auch unterfordern?

Goerne: Oh ja! Es gibt die Gefahr des zu viel und die Gefahr des zu wenig. Viele Sänger ermüden während einer Vorstellung mitunter wegen zu viel Schonung vorher. Oder sie haben zu lange vor der Vorstellung gar nicht gesungen! Wenn ich zwei, drei Tage nicht singe, spüre ich einen deutlichen Konditionsverlust. Wenn ich Wozzeck singe, muss ich darauf vertrauen können, dass explosionsartige Töne auch wirklich ansprechen. Es ist letzten Endes wie Sport. Ich halte nicht viel vom Schonen.

RONDO: Kann es sein, dass sich Ihre stimmliche Vitalität auch der Tatsache verdankt, dass Sie sich nie auf ein Stimmfach haben festlegen lassen?

Goerne: Ich halte das gar nicht für sinnvoll, dieses Fächer-Denken. Es geht doch um Wandlungsfähigkeit! Und der erteile ich eine Absage, wenn ich das Etikett Heldenbariton vergebe, oder Charakterbariton. Ich halte dieses Fächer- Denken für die Entwicklung eines Sängers für einengend und falsch.

RONDO: Weil es eine Stimme nicht nur in der dynamischen Drehzahl, sondern auch in ihrer Farbe festlegt?

Goerne: Ein Schlüsselwort ist für mich Modulationsfähigkeit, besonders für die Gattung Lied: „Die schöne Müllerin“ etwa ist ein ganz heller Zyklus, da darf ich nicht die dunkle Seite meiner Stimme aufmachen, es wäre falsch für das Stück. Wenn ich aber Bachs Christus- Rezitative singe, darf ich nicht als schnarrender Bariton singen, sondern muss sie mit warmer Bass- Farbe ausstatten. Ich muss aber immer glaubwürdig bleiben und darf mich nicht zu weit von meinem Timbre entfernen. Ich muss damit spielen können und mit verschiedenen Stimmen arbeiten können, je nachdem, was das Stück braucht.

RONDO: Was ist Ihnen wichtiger, Lied oder Oper?

Goerne: Sowohl das Lied als auch die Oper brauchen sich wechselseitig sehr! Das ist von fundamentaler Bedeutung. Ohne das Lied würde mir ganz massiv etwas fehlen. Schon die Art der Beschäftigung damit und das Gefühl, was sich einstellt in einem Liederabend. Ich glaube aber wiederum auch nicht, dass ein richtig guter Liederabend nicht glücken kann ohne Opernerfahrung. Das hat mit der stimmlichen Entwicklung zu tun. Es gibt Lieder, die bieten in vier Minuten das, was der ganze „Tristan“ in vier Stunden bietet. Zwischen zartesten Tönen bis zum massiven Fortissimo wie bei Schuberts „Totengräbers Heimweh“. Da muss ich ganz leise mit gemischter Stimme arbeiten und dann unglaublich straff ansetzen, so als wenn ich Kurwenal singe. Die Gewichtung ist so, dass ich mir Opernauftritte sehr genau aussuche, denn Vieles kann ich mir mit Vielen nicht vorstellen. Also, ein bisschen Oper, viele Konzerte und viele Liederabende!

RONDO: Würden Sie gerne in die Lehre gehen?

Goerne: Nein, das sicher nicht. Ich will nicht mehr so lange singen und stelle mir eher eine Intendanz vor, die Leitung eines Festivals, das wird die Zukunft sein. Ich will auf keinen Fall mein Repertoire verkleinern oder tiefer legen und mich so irgendwie rausschummeln. Dazu habe ich zu lange auf hohem Niveau gesungen, dass ich mir das zumuten wollte.

Neu erschienen:

Johann Sebastian Bach

Solokantaten für Bass BWV 56, 82 & 158,

Matthias Goerne, Freiburger Barockorchester

harmonia mundi

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Erscheint im Oktober:

Richard Wagner

The Wagner Project – Of Gods, Men & Redemption (Vorspiele und Szenen)

Matthias Goerne, Schwedisches Radio-Sinfonieorchester, Daniel Harding

harmonia mundi

Goerne wieder!

Zu Beginn des Interviews bringt der Bariton das Gespräch auf den dekonstruierten, um Teile der c-moll-Messe ergänzten „Tito“ von Mozart bei den Salzburger Festspielen, in der Inszenierung von Peter Sellars und mit Teodor Currentzis am Pult. „Bei der Regie dachte ich: Ist das nicht New Age und 80er? Aber es ist sehr genau gearbeitet und musikalisch interessant, eine sehr gute, junge Besetzung ohne Namedropping! Und das Dekonstruieren ist im Schauspiel ja längst selbstverständlich, inwieweit man das mit Musik machen kann, das ist jetzt noch die Frage, aber nicht mehr lange tabu, es wird kommen! Das Gewand der Oper wird sich in den nächsten Jahren total ändern.“

Regine Müller, 02.09.2017, RONDO Ausgabe 4 / 2017



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