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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Gregor Hohenberg

Juan Diego Flórez

„Ich will es wissen!“

Der Star-Tenor über sein neues Mozart-Album, den Hang zur Selbstkritik und sein südamerikanisches Temperament.

RONDO: Herr Flórez, warum Mozart gerade jetzt?! Sind Sie nicht schon über das Fach hinaus?

Juan Diego Flórez: Mozart, glaube ich, ist genau jetzt richtig für mich, weil ich den kritischen Wendepunkt in meiner Karriere hinter mir habe. Die Mittellage, also das Zentrum meiner Stimme, hat sich gefestigt, so dass ich mehr Farben denn je aufbieten kann. Ich würde einiges auch gern in einer Inszenierung singen, zum Beispiel Idomeneo und Titus.

RONDO: Wann war der „kritische Wendepunkt“, den Sie meinen?

Flórez: Vor etwa vier Jahren, als ich erstmals in „Guillaume Tell“ in Pesaro sang. Und kurz danach in „La favorite“. Ich merkte, dass sich im Körper etwas ändert. Ich war 40 geworden. Da ändert sich viel im Körper. Wenn ich heute Interviews von mir nachhöre, muss ich immer lachen, wie hoch meine Sprechstimme früher klang. Die Gravitation verlangt ihr Recht! Alles hängt irgendwie herunter. Auch die Stimme! Es war der Grund dafür, dass ich mich dann dramatischeren Rollen wie etwa Raoul in „Les huguenots“ zugewandt habe.

RONDO: Wenn die Gravitation ihr Recht verlangt, wie Sie sagen, dann müsste es doch eigentlich leichter sein, in jungen Jahren die schweren Rollen zu singen. Und später Mozart?!

Flórez: Das scheint nur so. Bei Verdi etwa hängt sehr viel von der Projektion des Tones ab. Man muss oft laut singen. Das ist nicht unbedingt sehr gesund für die Stimme, und dies ist der Grund dafür, dass man damit nicht zu früh im Leben anfangen sollte. Auch zu Wagners Zeiten haben die Sänger nicht mit Wagner angefangen. Sondern mit Belcanto. Verdi-Sänger der ersten Generation kamen von Rossini.

RONDO: Welche Mozart-Arie war die schwierigste für Sie?

Flórez: Ich denke, dass „Un aura amorosa“ und ebenso „Dalla sua pace“ sehr delikate Sachen sind. Ich habe mich bemüht, sie weniger instrumental, dafür mit mehr Ausdruck zu singen. Etwas ‚roher’, wenn ich mich so ausdrücken darf.

RONDO: Ihr Deutsch – für Tamino und Belmonte – war kein Problem?

Flórez: Wir leben in Wien, und kürzlich habe ich mich sogar dabei ertappt, dass ich auf Deutsch ein kleines Interview gegeben habe. Zuhause allerdings spreche ich Spanisch oder Englisch. Auch mit meiner Frau. Sie spricht mit den beiden Kindern Deutsch, nicht mit mir.

RONDO: Sie gelten als äußerst zuverlässiger Sänger, der unbedingt erfüllt, was immer er sich vorgenommen hat. Woher kommt’s?

Flórez: Es ist wohl eine Charakterfrage. Ich bin sehr streng mit mir und leicht unzufrieden. Ich kontrolliere mich ständig durch Ton-Aufnahmen bei den Proben. Das liegt daran, dass ich keinen langjährigen Lehrer hatte, sondern stark auf mich selbst angewiesen war. Ich habe alle großen Rollen-Entscheidungen selbst getroffen. Ich war für mich selbst verantwortlich und zum Teil ziemlich autodidaktisch.

RONDO: Sehr südamerikanisch wirkt Ihr gestrenges Arbeitsethos aber nicht …

Flórez: Laut Klischee würde man mich nicht für sonderlich südamerikanisch halten. Ich mache das durch unvorhersehbare Temperamentsausbrüche wieder wett (lacht).

RONDO: Ihre letzten neuen Rollen waren Gennaro in „Lucrezia Borgia“, Edgardo in „Lucia di Lammermoor“ und Werther. Und nun?

Flórez: Noch nicht angekündigt, aber schon fest vereinbart sind „Manon“ und „La traviata“. Ich muss immer etwas Neues zu tun haben. Das gibt mir – im Erfolgsfall – Selbstvertrauten und öffnet mir neue Wege. Inzwischen scheue ich mich nicht einmal vor einem Fehltritt. Denn ich denke: Wen kümmert’s? Ich stehe nicht mehr am Anfang meiner Karriere. Es klingt vielleicht simpel, aber ich muss trotzdem sagen: Ich bin lockerer geworden.

RONDO: Sie sind ein gutaussehender Sänger. Ein Vorteil?

Flórez: Ich habe mich zwar nie so angesehen. Aber wenn es so sein sollte, so ist es: ein Vorteil. Sänger müssen fit und gesund sein, um ihren Beruf ausüben zu können. In diesem Sinne müssen sie auf ihren Körper achten, und das tue ich auch. Ich mache nicht wahnsinnig viel Sport, aber für Fußball und Tennis reicht es immerhin. Ich muss oft daran denken, dass Luciano Pavarotti, den ich kannte und bewunderte, auf die Frage eines Journalisten, ob seine Leibesfülle von Vorteil für seine Stimme sei, antwortete: „Wer das behauptet, der lügt.“ Nicht einmal Pavarotti war also froh darüber, zu dick zu sein.

RONDO: Würden Sie sich selbst als glücklichen Menschen beschreiben?

Flórez: Glücklich bin ich über den Beruf, wenn auch nicht immer mit meinen Auftritten. Das stachelt mich aber an. Was mich antreibt, ist der Versuch, es besser zu machen. Selbst bei der Arie des Tonio aus „La fille du régiment“, die ich nun wirklich unendlich oft geschmettert habe, bin ich immer neugierig, ob ich es diesmal schaffen werde. Und freue mich auf ein Glas Wein danach.

RONDO: Weiß oder rot?

Flórez: (Überlegt) Nach der Oper ist mir fast immer eher nach einem Glas Rotwein. Ich esse dann etwas Leichtes, vielleicht etwas Fisch, kaum Fleisch. Vor einer Vorstellung dagegen ernähre ich mich hauptsächlich von Quinoa, einer Art Getreide, wie ich es aus meiner Heimat Peru kenne.

RONDO: Jeder Sänger ist zugleich Erkältungsspezialist. Was empfehlen Sie zum Herbst- und Wintereinbruch?

Flórez: Mein Rat: Ausschlafen! Wenn ich müde werde, kann ich mich fast darauf verlassen, dass eine Erkältung sofort hinterherkommt. Außerdem: gut essen! Sogar das sehe ich mittlerweile entspannter. Man kann mit einer leichten Erkältung noch durchaus singen. Die gute Laune zählt. Mich gut zu fühlen, macht mich besser.

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

„Mozart“ (Tenorarien)

Juan Diego Flórez, Orchestra La Scintilla, Riccardo Minasi

Sony Classical

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Der peruanische Tenor Juan Diego Flórez, geboren am 13. Januar 1973 in Lima, darf als führender Vertreter des Tenore di grazia gelten – einem Sondertypus des italienischen Fachs, der im Belcanto (also bei Rossini, Bellini und Donizetti) besonders gefragt ist. Inzwischen hat sich Flórez, seinem Vorbild Luciano Pavarotti folgend, auch ins schwerere Fach hinein entwickelt, bis zum „Rigoletto“-Herzog und zu Raoul in „Les huguenots“. Aber regelmäßig tritt er immer noch beim Rossini-Festival in Pesaro auf, wo er ein Sommerhaus besitzt und einst erste große Erfolge feierte. Flórez ist mit der deutschen Schauspielerin Julia Trappe verheiratet und lebt in Wien.

Robert Fraunholzer, 14.10.2017, RONDO Ausgabe 5 / 2017



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