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am 27.04.2024



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Musikstadt

Taichung

Es erinnert an Bubble Tee, aber darin gibt es Oper, Avantgarde, Shopping: Das National Taichung Theater will Kunst und Lifestyle.

Taiwan muss sein. Wer in die Ferne schweift und ein Faible für Asien hat, der sollte sich die Inselrepublik nicht entgehen lassen. Gerade als Korrektiv zum übermächtigen Stiefbruder, der Volksrepublik China. Vor allem kulturell ist da viel los, und dazu freier und diverser als im (ehemaligen) Mutterland. Sogar Oper westlicher Bauart gibt es hier zu sehen, in der Hauptstadt Taipeh, sowie in dem nicht weit entfernten Hotspot Taichung mit seinem neuen, spektakulären Nationaltheater.
Oper in Asien: bis heute eine seltsame Sache. Sicher, da gibt es die chinesische Oper, viel älter als die europäische, mit ihren vielen verschiedenen Stilrichtungen von Peking bis Kunqu, von Sichuan bis Kanton. Aber alles andere bleibt eine importierte, europäische und exklusive Kunstform. Für die man wie für westliche Ballett- und Konzertgastspiele in Japan zwei, drei Theater gebaut hat. Tokio hat immerhin auch noch sein New National Theatre, wo man inzwischen selbst Oper produziert. Die großen europäischen Kompanien gastieren aber auch im Hong Kong Cultural Centre oder im Esplanade Theater in Singapur. In China besitzt man mit dem als Pekinger National Centre For The Performing Arts fungierenden „Auge“ des Franzosen Paul Andreu sowie dem Grand Theatre in Shanghai mit seinem gebogenen Dach zwei bauliche Landmarken.
Aber selbst in der ungleich kleineren Inselrepublik China, früher bekannt als Formosa, heute Taiwan, war man nicht untätig. Schon 1987 gönnte man sich das prestigeträchtige National Theater in der Hauptstadt Taipeh. Das besteht aus zwei fast identischen, sich gegenüberliegenden Gebäuden im chinesischen Tempelstil, Theater und Konzerthalle. Dort pflegt man, anders als in China, Japan oder dem weitgehend auf europäische Klassik fixierten Südkorea, eine sehr eklektische Mischung aus westlichen und asiatischen Gastspielen auch der avancierten Art. In Taipeh residiert auch das Cloude Gate Dance Theatre von Lin Hwaimin, dem berühmtesten Choreografen Asiens.

Grünes Dach, raffiniertes Innenleben

Nach 1987 ist viel Zeit verstrichen. Schon 1992 wurde ein zweites National Theater angedacht für Taichung, mit 2,7 Millionen Einwohnern immerhin zweitgrößte Stadt der Republik. 2008 gewann der japanische Pritzker-Preisträger Toyo Ito, bekannt für sein organisches Bauen, den Wettbewerb, 2011 wurde begonnen, vor drei Jahren hat man schon mal halb geöffnet. Im Herbst 2016 wurde die festliche Einweihung gefeiert, mit einer Choreografie für eine bald halbnackte Truppe von taiwanesischen „Ureinwohnern“, die sich zu den Klängen von Wagners Walkürenritt erst das verschlungene Foyer und dann auch den Außenbereich eroberten. Denn zwei Stunden später wurde hier als Galaspektakel Richard Wagners „Rheingold“ gegeben. Am Pult des National Symphony Orchestra mit dem das Haus eine Partnerschaft unterhält, stand übrigens ein hierzulande alter Bekannter, Lü Shao-chia, seit 2010 hier Chef, vormals Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin und GMD in Hannover.
Man pflegt hier sehr unterschiedliche Spielstile. Anders, so Direktorin Victoria Wang, würden Publikum wie Mitarbeiter überfordert. So ist das kastenartige, von einem raffinierten Innenleben durchzogene und mit einem begrünten Dach gedeckelte National Taichung Theater eher ein realpolitisch richtig gedachtes Mehrzweckgebäude, ein Performing Arts Space, in dem so ziemlich alles stattfinden kann und soll, was es an darstellender wie klingender Kunst, an Konzert, Oper, Theater, Musical, Show und Entertainment gibt, international wie asiatisch.
Um das Theater herum stehen großartig entworfene, sehr teure Appartement-Häuser, man hat es bewusst als Mittelpunkt eines der neuen Wohnquartiere der genau nach Plan wachsenden Stadt konzipiert. Toyo Ito sieht es als Whirlpool und Fluss (deshalb zieht sich auch ein kleines künstliches Rinnsal durch das Erdgeschossfoyer). Von außen gibt es blasenartige Einbuchtungen und Ausschnitte, manche empfinden das wie eine Hommage an den Bubble Tea, der in dieser Stadt erfunden wurde. Nach Art von DNA-Strängen ziehen sich die strukturellen Verbindungen zwischen Boden und Dach durch das Gebäude mit seinen teils offenen, teils höhlenartig runden, in Weiß gehaltenen Flanierflächen. Unten liegen neben dem offenen Kassenbereich wie auf einem Marktplatz belebte Edelkrimskramsläden. Im ersten Stock befinden sich das in Rot und Bronze gehaltene Grand Theatre mit 1500 Plätzen und einer vollfunktionsfähigen Opernbühne, sowie das blaue, weit nüchternere Playhouse mit 800 Plätzen, das multifunktional einsetzbar ist. Im Keller gibt es noch die wirklich schwarze Blackbox, die nach außen geöffnet werden kann, so dass man von den Stufen eines Amphitheaters aus auch von draußen quasi ins Haus geladen wird. Ganz oben liegt das schicke, mediterran- französisch gehaltene Bistro, wo man sich Europäisches an leckeren Buffets einverleiben kann – schon jetzt ein Top-Anziehungspunkt in der Stadt.
Doch das ist noch lange nicht das Ende des strategischen Kulturaufbruchs in Taiwan. Auch in Taipeh wird gerade ein neues Kunstcenter fertig, in dem drei renommierte freie Gruppen ein Zuhause haben sollen, Rem Koolhaas baut ein weiteres Theater, und auch ein drittes National Theater im Süden steht kurz vor der Vollendung. Es bleibt spannend im Fernen Osten.

en.npac-ntt.org

Instrumenten-Bau

Das Programm für Kunst und Leben im National Taichung Theater ist bunt wie divers. Doch man wagt sich auch an (hier) so Ausgefallenes wie das von Heiner Goebbels 2013 bei der Ruhrtriennale herausgebrachte „Delusion Of The Fury“ des US-Komponisten Harry Partch (1901-1974), für das eigens die Instrumente gebaut und geübt werden mussten. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons gastierte, und das Berliner Ensemble mit Robert Wilsons „Peter Pan“ war zu Gast. Als Nächstes folgen das Philip-Glass-Opus „The Photographer“, das Wuppertaler Tanztheater und die in Aix-en-Provence residierende Balletttruppe des Franco-Albaners Angelin Preljocaj.

Matthias Siehler, 16.12.2017, RONDO Ausgabe 6 / 2017



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