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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Marc Minkowski

Gebirgstour mit Meeresrauschen

Zu einem Besuch in Marc Minkowskis Ferienanwesen an der französischen Atlantikküste von La Rochelle: Bei leisem Wellenrauschen folgte Matthias Siehler dem Dirigenten im Gespräch ins Gebirge Lord Byrons, wo er von seiner neuen Berlioz-Einspielung sprach und seine zwei Solisten von Otter und Tamestit gleich noch in den Himmel hob.

Wir sitzen zwischen Bullaugen und schwebenden Zwischendecken. Der Eindruck eines Schiffs, freilich modern und sachlich, ist vorherrschend. Das wollte der Vorbesitzer des Hauses so. Doch Marc Minkowski, der auch in Paris in einem Industrieloft lebt, gefällt sein neues Feriendomizil auf der Île de Ré, dem Sylt Frankreichs vor der Küste von La Rochelle: »Ich habe hier in gewisser Weise Wurzeln. Meine Familie hat hier schon immer Urlaub gemacht. Ich habe sofort den spezifischen Geschmack der Seeluft wieder in der Nase gehabt.« Und was ein echter Workaholic wie Minkowski ist, der kann natürlich auch in seiner Freizeit nicht von der Musik lassen. Und so hat er hier, mit Unterstützung seiner Plattenfirma Naïve, ein Minifestival gegründet. Es heißt wortspielend »Ré majeur« – »D-Dur« im Französischen. Dieses Jahr hat er hier seine Salzburger »Così fan tutte« vorprobiert und seine russische Mezzoentdeckung Julia Lezhneva mit der Fiordiligi erste Tuchfühlung aufnehmen lassen.
Zuvor hatte er im frisch sanierten Schlosstheater von Versailles mit seiner ihm verschworenen Orchestergemeinschaft Les Musiciens du Louvre ein Fernsehkonzert gegeben, dessen Programm jetzt auch auf CD veröffentlicht wird: Die seltene All-Berlioz-Kombination von dessen Liederzyklus »Les nuits d’été« und der Tondichtung nach Lord Byron mit obligater Bratsche »Harold en Italie« ist da zu hören. Für Minkowski ein ideales Doppel: »Natürlich gibt es von Berlioz, den ich heiß liebe, obwohl ich ihn bis jetzt nur dosiert dirigiert habe, viele geniale Stück. Aber nur diese zwei sind klassisch vollendet und ausgewogen in der Form. Und ich konnte sie zudem mit zweien meiner Lieblingsinterpreten einspielen.«
Besonders schwärmt Marc Minkowski von Anne Sofie von Otter, mit der berühmten Mezzosopranistin aus Schweden verbindet ihn eine nunmehr Jahrzehnte währende Partnerschaft. »Wir sind durch viele Händelund Monteverdi-Erfahrungen gegangen, haben mit Offenbach ganz herrlichen Spaß gehabt und uns in der Weichheit von Canteloubes »Chants d’Auvergne« eingekuschelt, wobei Anne Sofie denen immer eine herbe Note gibt. Ich finde es wunderbar, ihre Stimme reifen zu hören. Sie war für mich auch deshalb erste Wahl, weil sie diesen, so viele Schattierungen erfordernden Zyklus bereits früher einmal eingespielt hat. So kann man jetzt ganz bewusst vergleichen, wie sie sich seit damals weiterentwickelt hat, wie ihre Sichtweise tiefer und nuancierter geworden ist.«
Auch für Antoine Tamestit ist dem sonst eher zurückhaltenden Marc Minkowski kein Vergleich zu hoch: »Er scheint für mich die Inkarnation von Niccolò Paganini, für den ›Harold en Italie’ ja ursprünglich geschrieben, aber von ihm als zu wenig wirkungsvoll abgelehnt wurde. Antoine gebietet aber nicht nur über dessen virtuose Rattenfängereien, er hat einfach einen so kultiviert strahlenden Ton, dass mit ihm die Viola fast zur Violine aufgewertet wird.«

Hector Berlioz

Harold en Italie, Les nuits d’été

Anne Sofie von Otter, Antoine Tamestit, Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski

Naïve/Indigo

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Matthias Siehler, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 6 / 2011



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