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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Soll man ein Winning-Team zurückholen, besonders an einen so launischen Festspielplatz wie Salzburg? Der Einen-Sommer-Intendant Markus Hinterhäuser hat es gewagt – und gewonnen. Nicht dass sich der Regisseur Christoph Marthaler, seine Bühnengestalterin Anna Viebrock und die großartig suggestive Sopranistin Angela Denoke seit ihrer bahnbrechenden »Katja Kabanowa«1998, einem der Höhepunkte der Mortier-Ära, nennenswert verändert hätten. Aber gerade das stehende Jetzt ist ja auch das Thema einer weiteren Leos-Janácˇek-Oper, jenem Mysterium von der 337 Jahre alten Sängerin Emilia Marty, die durch die gerichtsnotorische »Sache Makropoulos« wandelt. Natürlich geht es auch hier wieder um Warten und unerfüllte Wünsche. Die Janácˇek-Figuren, situiert in einem Cinemascope- Verhandlungssaal auf der Bühne des großen Festspielhauses, haben alle einen Marthaler-Tick und sind einfach wunderbar. Auch weil der Oberkellner vom Café Bazar als Statist in den Orchestergraben starrt, und Festspielputzfrau Gerda das macht, was sie am besten kann: Feudeln. Dazu hat freilich noch nie Esa-Pekka Salonen die butterweichen Wiener Philharmoniker dirigiert. Wofür er – als ebenfalls an die Salzach zurückkehrender Opernwiederholungstäter – mit allen ausgiebig gefeiert wird. Weil ihnen die rundeste Premiere gelang.
Was es in Salzburg noch nie geben hat: Ein Regisseur entwickelt sein Konzept einfach weiter und inszeniert im alten Bühnenbild neu – und besser. So geschehen in Claus Guths »Così fan tutte«, ursprünglich das schwächste Glied seines Mozart/da-Ponte-Zyklus. Der gewann diesen Sommer, erst- und letztmals komplett zu sehen, mit drei höchst unterschiedlichen Dirigenten und Orchestern, enorm an Tiefe und Stringenz. Diesmal waren wirklich die drei (!) Seiten einer Mozart-Medaille zu betrachten: menschliche Abgründe, wohin man blickte. Bo Skovhus’ Alfonso und Anna Prohaskas Despina waren schwarze Engel als grausame Spielmacher. Die beiden ausgeglichen besetzten Paare werden hilflos in ein fieses Liebesexperiment geworfen, das in einer fast schattenlos weißen Wohnhalle wie in einem Labor abläuft. Da gefriert das Blut, würde nicht der vorwärtsdrängende Marc Minkowski mit seinen Musiciens du Louvre immer wieder innehalten und besonders in Maria Bengtssons »Per pietà«-Rondo als Kulminationspunkt die Mozart-Zeit still stehen lassen. Weiter ging es von der Salzach an die Adria – nach Pesaro, aus allen Ferragosto-Nähten platzender Italo-Badeort und Rossini-Hochburg, nun schon im 32. Festspieljahr. Hoch gefährdet zudem, weil die kulturlose Berlusconi- Regierung auch hier langsam die Subventionen austrocknen lässt. Trotzdem lassen sich – zu empfindlich gekürzten Gagen – alljährlich immer neue Belcanto-Sängerentdeckungen machen. Und dieses Jahr riskierte Graham Vick zudem eine große Regiekontroverse (vgl. Herbert Rosendorfer auf Seite 41). Im Opernoratorium »Moisè« schickt er die eigentlich in Ägypten gefangenen Israeliten als Selbstmordattentäter gegen die arabischen Unterdrücker. Da blinkern die Bombengürtel und gibt es Giftgasattacken. Am Ende der packenden, von Buh- wie Bravostürmen begleiteten Aufführung ging es dann statt durchs Rote Meer unter dem Feuerschutz eines Panzers mit Davidsternflagge auf die andere, die gelobte Seite des palästinensischen Schutzwalls. Selten ging ein – bestens gesungener und von Roberto Abbado zupackend dirigierter – Rossini so unter die Belcantohaut. Gegen einen hartnäckigen Störer musste sogar die Polizei einschreiten.
Da herrschte bei den Festwochen für Alte Musik in Innsbruck mehr Gelassenheit. Im zweiten Jahr hat sich der neue, ebenfalls dirigierende Leiter Alessandro de Marchi bereits programmatisch wie ästhetisch etabliert. Neben einer Hasse-Oper stand diesen Festspielsommer Georg Friedrich Telemanns einzige Opera seria, der 1729 in Hamburg uraufgeführte »Flavius Bertaridus«, auf dem Programm. Im Herbst wird er zur Feier des 333. Gründungsjahrs der Bürgeroper am Gänsemarkt nachgespielt. Die Geschichte vom hilflosen Langobardenkönig kennt man aus Händels »Rodelinda«, und auch Telemann befleißigt sich in seinen mal deutsch, mal italienisch gesungenen Arien viel Routine. Im zweiten Akt kommt das Geschehen im Diktatorenpalast, den Jens Daniel Herzog als fensterlosen Zimmerirrgarten inszeniert hat, auf Touren. Auch weil de Marchi hier beherzt nachinstrumentiert und ein großes Musikerensemble auffährt. Mit vielen Bläsern, zwei Cembali, flötenumturtelnden Nachtigallenarien, Chalumeau und Kontrabassfagott ist das ein farbenreicher Barockklangspaß.
Nach den Festivals ist vor dem Festspiel. War die wie immer im August startende Ruhtriennale ein Abschluss oder ein Auftakt der Saison? Jedenfalls gab es dort, als einzige »buddhistisch« anmutende Oper westlicher Bauart, passend zum diesjährigen Religionsthema des Intendanten Willy Decker und von diesem inszeniert, »Tristan und Isolde«. Da war Gelungenes und Fragwürdiges zu erleben: Ein stehendes Paar, zusammengehalten zwischen zwei Riesenplatten, die in der Industriekathedralenweite der Bochumer Jahrhunderthalle angemessen verloren wirkten. Anja Kampes Isolde rührte, Christian Franz’ Tristan kämpfte sich so durch. Projektionen auf einem über allen schwebenden Mond störten eher. Natürlich gestaltete Ausnahmedirigent Kirill Petrenko mit den Duisburger Philharmonikern einen siedenden Klagegesang der verlorenen Liebenden – aber der musste verstärkt werden. Ein fragwürdiges Festspielunterfangen in einer Region mit mehreren »Tristan«-Produktionen an Theatern, die mitunter an schwindenden Subventionen knapsen. Dennoch bekommt nächstes Jahr der neue Triennalen-Chef Heiner Goebbels 800 000 Euro von der Bundeskulturstiftung – für eine einzige Orff-Oper.

Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 5 / 2011



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