home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Nils Landgren

Mondsüchtig

Alle paar Jahre verwandelt sich der fröhliche Partyposaunist Nils Landgren in einen sensiblen Sangesinterpreten melancholischer Leid- und Liebeslieder. Seine neue Balladen-Sammlung erklärt endlich die plötzlichen Temperamentschwankungen des Schweden: Es liegt am Mond. RONDO-Autor Josef Engels hat den Jazzer nach einem Konzert beim Valamar Jazz Festival getroffen und dabei helle und dunkle Seite auf einen gemeinsamen Nenner gebracht.

Man kann es nicht anders sagen: Nils Landgren ist eine Rampensau. Das beweist der Schwede mit der roten Posaune auch an diesem Abend im kroatischen Küstenort Poreč. Als Abschluss-Act des Valamar Jazz Festivals heizt Landgren dem Publikum mit seiner Partyjazz-Einsatzgruppe Funk Unit ordentlich ein. Zum Schluss erheben sich alle von den Sitzen und singen zusammen mit dem Skandinavier »Ain’t nobody messin’ with my baby«. Bei der Aftershowparty schwärmt Landgren vom Mond. Wie eine saftige Orange hatte man den Erdtrabanten kurz vor Beginn des Konzerts am Himmel über Istrien schweben sehen. »So ein Mondaufgang in Südeuropa ist ein unglaubliches Erlebnis. Viel besser als alle Filme der Welt«, sagt der Posaunist. Er schämt sich nicht für solch gefühlige Anwandlungen. Denn auch das lässt sich sagen: Nils Landgren ist ein Romantiker. Und er teilt es gerne mit. Zum dritten Mal in seiner Karriere veröffentlicht der 55-Jährige ein Album, das ihn von seiner zutiefst emotionalen Seite zeigt – als Sänger mit zerbrechlicher Reibeisenstimme und als Freund nah am Wasser gebauter Weisen von Henry Mancini, Cat Stevens und Kris Kristofferson. Auf »The Moon, The Stars and You« präsentiert sich Landgren als melancholischer Mondsüchtiger, der herzerweichend den Himmel anheult. Aber bevor es zu pathetisch werden kann, verwandelt sich der singende Posaunist mit der Hilfe illustrer Unterstützer (zu denen unter anderem Joe Sample, Steve Gadd, Joao Bosco, Richard Galliano, die NDR Big Band oder das Stockholm Philharmonic Orchestra gehören) auch gerne mal in einen Swing-Werwolf mit New-Orleans-Herkunft. Über allem steht der Mond. »Jeder Mensch hat einen Bezug zum Mond«, sagt Landgren. »Das ist mehr als ein Stück Stein. Es gibt nicht umsonst so viele Kompositionen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Es hat Spaß gemacht, Songs auszusuchen. Es war wie beim Angeln. Manchmal fängt man etwas, manchmal nicht. Und einige kleine Fische muss man wieder ins Wasser werfen. Auf der CD sind die für mich schönsten Fische.« Neun Jahre liegen zwischen der aktuellen Aufnahme »The Moon, The Stars and You« und Landgrens letztem Balladenalbum »Sentimental Journey «. Die lange Abstinenz erklärt der Schwede damit, dass er viel unterwegs gewesen sei. Was eine dezente Untertreibung sein dürfte, wenn man sich anschaut, was Landgren in den vergangenen Jahren so alles gemacht hat – vom unermüdlichen Touren mit der Funk Unit über unzählige Plattenaufnahmen mit befreundeten Stars bis hin zu seinen Tätigkeiten als Leiter des Berliner Jazzfestes sowie als Produzent diverser Künstler. Und dann wäre da ja auch noch sein Engagement für das von ihm gegründete Musik-Projekt in den Slums von Nairobi. »Es ist aber noch etwas anderes«, erklärt Landgren. »Ich dachte, jetzt habe ich mit meinem Gesang wieder etwas zu sagen.« Vor allem im Titelstück der Einspielung wird das deutlich. Man muss schon von der dunklen Seite des Mondes stammen, um nicht von Landgrens Liebeserklärung an seine Frau Beatrice gerührt zu sein. »Wir sind seit 32 Jahren verheiratet. Für all diese Jahre, die mich so glücklich gemacht haben, wollte ich mich bedanken«, sagt Landgren über den erstaunlichen Pop-Song, den er gemeinsam mit Michael Wollny verfasst hat. »Er kann alles, was ich nicht kann. Außer Posaune spielen. Zum Glück«, lobt der Schwede den jungen deutschen Pianisten. Und lacht. Da ist es wieder, Nils Landgrens sonniges Gemüt.

The Moon, The Stars and You

Nils Landgren

ACT/Edel

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Josef Engels, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Falsche Absage

Musikalisch war Wynton Marsalis schon immer tief in seinem Roots-Herzen ein Konservativer. Doch […]
zum Artikel

Pasticcio

Klänge jenseits der Grenze

In der zeitgenössischen Musikszene ist es schon lange kein Tabu mehr, sich selbst der klassischen […]
zum Artikel

Pasticcio

Wir können alles – außer Sparen

Dass der Theater- und Opernbetrieb chronisch unterfinanziert ist, ist nichts Neues. Wenn aber die […]
zum Artikel


Abo

Top