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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Zugabe

Von der Hinterbühne berichtet Robert Fraunholzer.

Star-Geigerin Viktoria Mullova hat sich niemals als echte Russin gefühlt. »In Wirklichkeit schämte ich mich, russisch zu sein«, sagte sie mir in Paris. Nachdem sie emigriert sei, habe sie sofort das einzige abgeschnitten, was an ihre Herkunft erinnert habe: den Zopf. 1983 gelang ihr mithilfe eines Journalisten die Flucht über Finnland. Zu Claudio Abbado hat sie kaum noch Kontakt. »Claudio Abbado und ich haben zuletzt 1993 in Berlin zusammen konzertiert. Seitdem fragt er nicht mehr. Dabei würde ich es tun. Wir sind nur noch durch unseren Sohn verbunden. Der Kontakt ist abgerissen.«
»Mit 40 Jahren hör’ ich auf!«, sagt Multi-Schlagzeuger Martin Grubinger (28). »Die physische Belastbarkeit wird irgendwann einfach zu hoch«, sagte er mir in Berlin. »Wie bei Fußballern.« Bei Autogrammstunden erkenne er junge Schlagzeuger, die zu ihm kommen, stets auf Anhieb. »An den Unterarmen und an den schwieligen Händen.« Um diese Form der Kraftsport-Klassik überhaupt durchzuhalten, müsse er viel schwimmen, rennen, Rad fahren und Fußball spielen. Zum Ausgleich empfiehlt er Qigong und – zur Feinjustierung – regelmäßiges Jonglieren. Wenn er selbst aufhört mit dem Schlagzeug will er sich seinen »wahren Traum« erfüllen: »Geschichte studieren«.
Sopranistin Julia Varady, die am 1. September 70 Jahre alt wird, hat nur drei Vorbilder gehabt, wie sie in Berlin verriet: »Maria Callas, Dietrich Fischer- Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf!« Auf die Frage, ob es nicht gefährlich sei, sich sein eigenes Vorbild nach Hause zu holen, antwortete die seit 1977 mit Fischer-Dieskau verheiratete Sängerin: »Ja, und ich habe es auch nicht zu träumen gewagt. Schon als ich bei der früheren Hochzeit von Fischer- Dieskau mit Ruth Leuwerik die beiden auf einem Foto sah, habe ich gesagt: ‚Wie schön!’ Da war ich 17 Jahre alt. Ich hab’ Glück gehabt!«
Das Hagen-Quartett feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Und zwar, ohne jemals ernstere Krisen überstanden zu haben. »Ich finde das eigentlich eine tolle Leistung!«, so Veronika Hagen, Bratscherin im Quartett. Ursprünglich war es eine reine Familienangelegenheit. »Unser Vater hat mit uns geübt, weil er Kammermusik am liebsten hatte. Sonst war eigentlich nicht viel dahinter.« Dennoch scherte die älteste Tochter Angelika Hagen vorzeitig aus. »Sie hat dann Ethnologie und Schauspiel studiert.« Einen echten Primarius gebe es eigentlich nicht. »Wir sind alle Alphatiere«, so Veronika Hagen. Bassbariton Ildebrando d’Arcangelo (41) dürfte der vielleicht einzige Mensch sein, der seinen ungewöhnlichen Vornamen dem kurz zuvor verstorbenen Ildebrando Pizzetti verdankt. Da aus dem Sohn etwas ganz Besonderes werden sollte, benannten ihn seine Eltern nach dem damals sehr bekannten, italienischen Komponisten. Er gehörte immerhin zu den wenigen Zeitgenossen, von denen ein Werk von Herbert von Karajan aufgeführt wurde (»Assassinio nella cattedrale«, 1960 in Wien). Er habe sich redlich bemüht, so sagte D’Arcangelo mir in Berlin, den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Ingolf Wunder (25), Zweitplatzierter beim Warschauer »Chopin-Wettbewerb « 2010 und gesegnet mit einem Exklusiv-Vertrag der Deutschen Grammophon, bezeichnet sich altmodisch als: »Chopinist«. Beim Gespräch in Berlin bekannte er sich auch zu den vermeintlichen ‚Fehlern’ der älteren Pianistengeneration (wie etwa Rubinstein, Horowitz und Richter): »Ich spiele nicht nur das, was in den Noten steht.« Rubinstein hatte seinerzeit gescherzt, er lasse beim Konzertieren oft so viele Noten aus, dass sich daraus ein neues Stück zusammensetzen lasse. Arcadi Volodos wiederum sagte mir vor einiger Zeit: »Wer behauptet, keine Töne auszulassen, der lügt.« So kehrt mit Ingolf Wunder die ‚alte Schule’ gewissermaßen doch noch zurück. Wenn auch zunächst in dem, was fehlt.
Nach dem Erdbeben in Japan steht auch die Zukunft etlicher musikalischer Institutionen in den Sternen. Masaaki Suzuki, Leiter des Bach- Collegium Japan, sagte mir am Telefon in Tokio: »Wir haben derzeit keine Ahnung, wie die Gruppe weiter existieren soll.« Die Subventionen seien zurückgefahren worden, von CD-Einnahmen könne man nicht leben. Auch einen eigenen Saal besäße das Ensemble nicht. Viele Konzertsäle in Tokio seien immer noch beschädigt. »Wir rechnen damit, dass erst in zwei Jahren wieder Normalität herrschen wird.«

Robert Fraunholzer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011



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