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Branford Marsalis ist nicht nur Fan von Richard Wagner, sondern auch ein richtiger Deutschland- Kenner. Als der Interviewer eine gewisse thematische Ähnlichkeit zwischen der von Pianist Joey Calderazzo geschriebenen Nummer »Bri’s dance« und einem leidlich bekannten Haydn-Stück konstatiert, summt der Saxophonist sofort lachend die deutsche Nationalhymne. Um gleich klarzustellen, dass Joey, sein Duo-Partner auf der CD »Songs of mirth and melancholy«, diese Ähnlichkeit keineswegs beabsichtigt hatte.
»Wissen Sie was?«, beugt sich Marsalis im Verschwörerton vor: »Im Grunde ist alles dasselbe. Verdammt, es sind bloß zwölf Töne. Hör dir Haydn, James Brown, Sex Pistols, Nirvana oder Ornette Coleman an. Wie unterschiedlich das alles ist. Und doch sind es die gleichen Töne. Die Idee, dass man noch mit etwas Neuem daherkommen kann, ist lächerlich.«
Man merkt dem Saxofonisten und seinem Pianisten, der sich ihm gegenüber auf einem Sessel lümmelt, ein deutliches Bemühen an: bloß keine zu hochtrabenden Aussagen! Marsalis und Calderazzo wagen sich mit ihrer Einspielung nämlich mutig auf das Terrain klassischer Kammermusik: Sie spielen Walzer und romantisch Kunstliedhaftes aus eigener Herstellung; einmal auch Brahms (»Die Trauernde«).
Doch Marsalis will diese Aufnahme nicht in die Nähe von Erzeugnissen aus der Klassik gerückt sehen. »Das ist keine Sinfonie hier. Wenn wir Mahlers Dritte zu zweit interpretieren würden, wäre das etwas anderes. Wir spielen bloß ›Lieder‹, wie ihr auf Deutsch sagt. Da verbirgt sich kein großes Statement dahinter.«
In der Tat spannen die »Songs of mirth and melancholy« einen weiten Bogen. Von dem an Jelly Roll Morton erinnernden »One way« zu Beginn über das von Wayne Shorter für Weather Report geschriebene »Face on the barroom floor« bedient sich das Duo einer Vielzahl verschiedener Stilistiken. Marsalis lässt auf Tenor- und Sopransaxophon mal akrobatische Bop- und Blues-Linien hören, mal zeigt er sich einem gänzlich ohne Arabesken und Beugungen auskommenden Klangideal verpflichtet. »Was Joey und ich gelernt haben: Wenn du viel klassische Musik hörst, vor allem Kammermusik, lernst du, wie man Klänge formen kann«, erläutert Marsalis.
Calderazzo ist der Unterschied zu den üblichen Saxofon-Klavier-Konstellationen im Jazz wichtig. Normalerweise seien da zwei Musiker zu hören, die wie vier klingen wollten. »Wir sind zwei. Und wir klingen wie zwei«, stellt der Pianist fest, der seit Jahren festes Mitglied in Marsalis’ Quartett ist.
Der berühmte Saxofonist ist jedenfalls voll des Lobes für seinen Partner. »Ich habe jetzt drei Duo-Platten mit drei verschiedenen Pianisten gemacht. Und alle klingen anders. Mit Joey habe ich viele Freiheiten. Wir können uns von der Musik leiten lassen und nicht umgekehrt. Es ist nicht so, dass wir uns gesagt hätten: Hey, wir können doch mal eine Platte mit klassisch eingefärbter Musik aufnehmen! Denn ganz ehrlich: Ich glaube nicht an Fusionen. Dieses ganze Gerede von HipHop- Jazz und Klassik-Jazz – das ist alles Quatsch.«
Josef Engels, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2011
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