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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Fanfare

Oldenburg? Oldenburg gibt es gleich zwei Mal zwischen Flensburg und Passau. Einmal in Schleswig-Holstein, da ist es kaum mehr als ein Dorf, und ein weiteres Mal in Niedersachsen. Hier nun handelt es sich um ein hübsches Städtchen mit viel Grün drum herum, freundlichen Menschen und einer zauberhaft verwinkelten Fußgängerzone. Aber auch die Wissenschaft und die Kunst haben in Oldenburg ihren Sitz. Die Universität verfügt über ein durchaus reichhaltiges Angebot, und die Oper ist auch nicht von schlechten Eltern, wie es so schön heißt. Grund genug also, dieser Musenstätte im Rahmen einer kleinen Reise durch Norddeutschland einen Besuch abzustatten.
Wie es der Zufall wollte, gab es just an dem Wochenende, als wir die Stadt betraten, die Premiere von Verdis »Aida«. Doch nicht im Oldenburgischen Staatstheater, das wird gegenwärtig saniert, sondern weiter draußen, auf einem ehemaligen Fliegerhorst, in einer riesigen Halle. Die Akustik ist, um ehrlich zu sein, nicht gerade berauschend dort. Aber das machte uns nichts aus an diesem Abend. Denn die Inszenierung war von solch gedanklicher Schärfe, dass wir bald vergaßen, wo wir uns befanden. Nina Gühlstorff hieß die junge Regisseurin, die das Stück unter die Lupe genommen hatte. Und so intensiv und klug tat sie dies, dass Verdis Oper als feinsinnig ausbalanciertes, psychologisch griffiges Kammerstück daher kam, ohne jeglichen affirmativen Pomp, dafür aber mit viel Raffinesse.
Davon noch ganz beeindruckt, fuhren wir am nächsten Tag mit dem Regionalexpress gen Nordwesten, nach Bremen. Bremen lächelte, die Sonne schien. Vom Theater der Stadt konnte man das in jüngerer Vergangenheit nicht unbedingt sagen, die finanziellen Eskapaden des darob aus seinem Amte entfernten Intendanten Hans-Joachim Frey hatten es an den Rand des Ruins getrieben. Aber wie beim Fußballklub der Hansestadt gibt man auch am Theater Bremen nie auf. Und wurde dafür nun auch künstlerisch belohnt, und zwar mit einer geistreichen Inszenierung von Mozarts dramma per musica »Idomeneo«, der es gelang, eine (Antikriegs-)Moral zu formulieren, ohne dabei allzu moralisch aufzutreten. Regisseur Kay Kuntze bediente sich dabei einer technischen Novität, die zwar nicht die Welt zum Einsturz bringen wird, aber doch einiges für sich hat. Das (anscheinend bezahlbare) Bühnenbild zum »Idomeneo« stammte nämlich nicht von einem Meister des Handwerks, sondern wurde von einer Vereinigung kreativer Computer-Designer namens Urbanscreen entworfen, deren Anliegen es ist, die theatrale Mehrdimensionalität noch um eine Dimension zu erweitern. Und das kann ja nie schaden, wenn der Rest stimmt. Und der Rest stimmte. Markus Poschner dirigierte einen sanften, aber insistenten Mozart. Eine famose Darbietung, auch deswegen, weil sie das Individuelle der Gefühle und Beziehungen (an)erkennt. Und das Subtile daran. Die Sänger fühlten sich sichtlich wohl dabei. Das Schöne: Sie mussten nicht forcieren, forciert war schon ihr inneres Toben. Herausragend gelang dies zumal den Damen der Schöpfung: Nadja Stefanoff als Idamante, Nadine Lehner als Ilia und Patricia Andress als Elettra.
Nach solch geballter Sangeskunst zog es uns denn doch wieder in sinfonische Gefilde. Zumal das Ziel nicht gar so fern lag. Von Bremen nach Hamburg ist es beinahe nur ein Katzensprung. Und mag das Debakel um den Bau der Elbphilharmonie inzwischen auch Ausmaße angenommen haben, bei denen jedem braven Bürger die Haare zu Berge stehen, so gibt es ja gottlob an der Alster und Elbe noch die wunderbare Musikhalle, Verzeihung: Laeiszhalle. Laeiszhalle klingt nicht gut, aber das ist nicht zu ändern. Und außerdem egal. Denn in der Laeiszhalle gastierte, und das dreimal binnen weniger Wochen, ein Dirigent, von dem sich mit Fug und Recht sagen lässt, dass er derzeit der wohl weltbeste ist. Wer eines der Konzerte mit Mariss Jansons erleben durfte, wird daran nicht länger zweifeln, unabhängig davon, ob er den Letten an der Spitze des Koninklijk Concertgebouworkest, der Wiener Philharmoniker oder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks erlebte, unabhängig davon, ob er die »Symphonie fantastique« interpretierte, die »Rosenkavalier-Suite« oder »Ein Heldenleben «. Emotionale und intellektuelle Durchdringung gehen bei Jansons eine solch glückliche Ehe ein, dass man sich fragt, warum nicht alle diese wunderbare Mischung wählen. Aber das würde hier zu weit führen.
Interessant aber wäre zu erfahren, was Daniel Barenboim in Berlin von Jansons hält, und davon, dass der vor ihm liegt. Vermutlich würde es ihn irritieren, wo doch er es ist, der die meisten Preise bekommt. Aber sei es drum. Auch Barenboim ist ein meisterlicher Dirigent (nur eben nicht der weltbeste). Das zeigte er uns wieder einmal bei der Premiere von Alban Bergs »Wozzeck«, die wir anlässlich der Festtage am Berliner Schillertheater, der Ausweichspielstätte der Staatsoper Unter den Linden, besuchten und von der wir auch wegen der intensiven Inszenierung durch Andrea Breth sehr angetan waren. Die Oper wurde 1925 von Erich Kleiber an der Linden-Oper uraufgeführt, sie hat also eine besondere Beziehung zur bundesdeutschen Kapitale. Als wolle Barenboim dies unterstreichen, lotete er die Partitur gemeinsam mit der formidablen Staatskapelle Berlin – die wieder einmal unter Beweis stellte, dass sie unangefochten das beste Berliner Opernorchester ist – noch bis in den letzten Winkel hinein aus und schuf damit eine Interpretation, die man nicht anders denn herausragend nennen darf. In diesem Sinne, herzliche Grüße Ihr Tom Persich

Tom Persich, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2011



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