home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Thomas Hampson

»Wir müssen Fachidioten sein«

Mit seiner neuen Einspielung von »Des Knaben Wunderhorn« liegen alle Mahler-Liederzyklen mit Thomas Hampson auf CD vor. Wie sehr ihm das deutsche Lied am Herzen liegt, ist längst kein Geheimnis mehr. Im Gespräch mit Christoph Braun erläutert der Bariton auch das Konzept der Lied Akademie, die er beim renommierten Heidelberger Frühling leiten wird.

RONDO: Wie kann sich ein Amerikaner über Jahrzehnte hinweg derart tief in das deutsche Lied versenken?

Thomas Hampson: So fremd muss einem das gar nicht erscheinen. Das zeigt schon allein die Tatsache, dass das US-Repräsentantenhaus Ende des 19. Jahrhunderts Deutsch als akademische Sprache festlegte! Im übrigen muss einfach jeder Liedsänger, egal wo er herkommt, sich intensiv mit der deutschen romantischen Kultur beschäftigen. Dass ich mein intellektuellkünstlerisches Zuhause in den letzten 25 Jahren in Deutschland gefunden habe, ist vielleicht nicht gerade typisch. Aber für mich existentiell.

RONDO: Und wie verträgt sich der Liedsänger mit dem Opernsänger? Bekanntlich bedienen Sie beide Bereiche ausführlichst. Und beide haben ganz eigene, manche sagen: unvereinbare Anforderungen.

Hampson: In der Tat ein riskantes Nebeneinander. Man muss beides klar trennen. Ich arbeite in Zyklen: ein Quartal Oper, ein Quartal Lied. So bleibt genügend Zeit für den Auf- und Abbau der Stimme.

RONDO: In diesen beiden Mahler-Jahren singen Sie wohl vor allem Werke von ihm – zumal Sie seit gut 20 Jahren als der Mahler-Sänger schlechthin gelten. Wie viele Konzerte bestreiten Sie mit ihm?

Hampson: In der Tat viele, so um die 60. Aber ich genieße es, nach wie vor. Mahler ist so vielfältig und aufregend, das kann mir nie genug werden. In seinen Liedern, gerade auch im »Wunderhorn«, ist die Welt mit all ihren Abgründen, aber auch Schönheiten, sozusagen in Töne eingefangen – auf geradezu existentielle und existentialistisch-philosophische Weise.

RONDO: Da spricht bereits der Lied-Pädagoge. Beim diesjährigen Heidelberger Frühling leiten Sie eine »Lied Akademie«, in der es um weit mehr geht als um Gesangstechnik.

Hampson: Als ich 2003 erstmals eingeladen wurde, war ich gleich begeistert von Heidelberg, diesem Inbegriff der Romantik, zumal im Frühling. Seither war ich, mit zwei Unterbrechungen, ständiger Gast. Schon bald kam mir die Idee einer Lied Akademie, mit der wir neue Wege zum Verständnis der Gattung beschreiten werden. Mit ausgewählten jungen Sängern, die für zwei Wochen zusammenkommen, -leben und arbeiten, mit Fachwissenschaftlern, die mit Vorträgen und Diskussionen den Studiengang musik-, literar-, kultur- und philosophiehistorisch bereichern und natürlich mit dem Publikum, das in die Probenarbeit einbezogen wird und täglich die Ergebnisse in Konzerten begutachten kann.

RONDO: Das geht weit über den normalen ›steifen‹ Liederabend hinaus.

Hampson: Das soll es auch. Dazu gehört, dass ich junge Regisseure einlade, sich Gedanken über neue Formen von Lied-Präsentationen zu machen.

RONDO: Aber vermutlich lassen Sie keine jungen Sängerinnen sich auf dem Flügel räkeln?

Hampson (laut auflachend): Nein, so weit gehen wir nicht. Gesang bzw. Lyrik sollen ja doch das Wichtigste bleiben. Allerdings wollen wir multimediale Zutaten ausprobieren. Nur müssen sie jener Maßgabe verpflichtet bleiben. Ansonsten aber geht es für die Stipendiaten weniger um Stimmtraining als um Bildung. Wo liegen die Unterschiede zwischen Schubert und Schumann? Warum ist eine Schumannsche Heine-Vertonung etwas ganz anderes als eine Schumannsche Eichendorff-Vertonung? Eichendorff war bekanntlich ein zutiefst gläubiger, Heine hingegen ein extrem skeptischer Dichter und Denker. Und der hochintellektuelle Schumann wusste das natürlich ... Diese Kontexte müssen in die Interpretation einfließen. Aber man muss sie erst einmal kennen. Und dann ist es auch – relativ – egal, wer da jetzt singt. Es geht uns in Heidelberg nicht um den Starrummel.

RONDO: Was sagen Sie einem angehenden Sänger, der sozusagen nur Gesang im Kopf hat?

Hampson: Wir müssen Fachidioten sein. Aber zu glauben, wenn die Stimme technisch funktioniert, dann beherrscht man schon ›Gesang‹: nicht mit mir!

Mahler

Des Knaben Wunderhorn

Thomas Hampson, Wiener Virtuosen

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Christoph Braun, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Good Luck!

Paff! Mit diesem Geräusch ist wohl gerade in New York die ganz große Traumblase geplatzt. Denn […]
zum Artikel

Boulevard

Begegnung der beiden Davids

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Historisch haben sie sich nicht getroffen: die von Renaissance bis Barock gebräuchliche Laute und […]
zum Artikel

Pasticcio

Akademischer Bewegungsdrang

Seit Hans-Christoph Rademann Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart ist und Henning Bey […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top