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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Vokal total

Gleich vier Opernaufnahmen aus London fanden in den letzten Wochen den Weg auf den Kontinent. Eine absolut hinreißende »Così fan tutte« beispielsweise und ein völlig entbehrlicher »Rosenkavalier«, jeweils als Live-Mitschnitt aus dem Royal Opera House (Opus Arte/Naxos). Colin Davis stand als Dirigent der Mozart-Oper ein Solisten-Sextett (Kiri Te Kanawa, Agnes Baltsa, Daniela Mazzucato, Stuart Burrows, Thomas Allen, Richard Van Allan) zur Verfügung, an dem man seine wahre Freude hat. Da gibt es nichts zu meckern, nur eine fast mustergültige Aufführung zu genießen, zumal sich auch das Orchester an diesem 27. Januar 1981 in bester Spiellaune von seiner Schokoladenseite zeigte. Das lässt sich von der »Rosenkavalier«-Aufführung am 3. März 1995 nun nicht behaupten, schon bei der Orchestereinleitung hat Andrew Davis alle Hände voll zu tun, die Herrschaften halbwegs beieinander zu halten. Mit Anna Tomowa-Sintow als Marschallin und Ann Murray in der Titelrolle litt der Abend unter zwei vibratoüberreichen und überreifen Hauptdarstellerinnen, von denen letztere zudem den deutschen Text als Material für freie Sprachvariationen verstand. Die gewohnt qualitätsvolle Barbara Bonney als Sophie und der noch immer beeindruckende Ochs von Kurt Moll konnten da nicht mehr viel ausrichten.

Neueren Datums sind die anderen beiden Opern aus der britischen Hauptstadt. Im Barbican wurde Anfang Dezember 2009 Verdis »Otello« mitgeschnitten, wiederum mit einem exzellenten Colin Davis, dieses Mal am Pult des glänzenden London Symphony Orchestra (LSO Live/Note 1). Simon O’Neill schlägt sich als Mohr zwar wacker, kann aber nicht zu den wirklich überzeugenden Interpreten der Rolle gerechnet werden. Gerald Finleys Jago wirkt wie ein (guter) Liedersänger, der sich ins Opernhaus verirrt hat. Und Anne Schwanewilms’ kleingliedrige Phrasierung versagt ihrer Desdemona jeden größeren Bogen, jedes Aufblühen. Ordentliche Sängerleistungen also, die aber kein Drama auf die Bühne bringen. Davon ist bei dem im Mai 2009 in der Henry Wood Hall entstandenen Querschnitt von Mercadantes »I normanni a Parigi« (Judith Howarth, Katarina Karnéus, Barry Banks, Riccardo Novaro) jede Menge zu spüren, wenngleich die Sopranistin im Eifer des Gefechts gelegentlich etwas über das Ziel hinausschießt. Aber langweilig wird es nie, während man mit Genuss 77 Minuten dieser reizvollen Oper kennenlernt (Opera Rara/Note 1).

Auch aus Deutschland kommen zwei neue Aufnahmen. Ein fast rein italienisches Ensemble hat 2007 beim Rossini-Festival in Bad Wildbad für eine quicklebendige Version von »La gazzetta« gesorgt, eine der eher selten zu hörenden Opern des Meisters aus Pesaro. Das ist begeisterndes Ensembletheater pur voller Drive und Witz – mit einem Rossini-Tenor allererster Güte namens Michael Spyres (Naxos/Naxos). In Frankfurt hingegen startete vergangenes Jahr mit dem »Rheingold« eine neue »Ring«-Produktion mit Sebastian Weigle am Pult (Oehms/harmonia mundi). Warum sich das Label entschlossen hat, nach dem Hamburger »Ring« nun auch noch diese Version zu veröffentlichen, bleibt sein Geheimnis. Auch wenn das vokale Niveau am Main deutlich höher ist als an der Alster: Mehr als eine Dokumentation der Leistungsfähigkeit der Oper Frankfurt sind diese zwei CDs nicht – und insofern mitnichten notwendig.

Absolut notwendig ist dafür die letzte Empfehlung: »Ercole« (EMI), eine der vielen unbekannten Vivaldi-Opern, aber was für eine! Und was für eine Besetzung! Das muss man sich in den Ohren zergehen lassen – Diana Damrau, Patrizia Ciofi, Joyce DiDonato, Viviva Genaux, Philippe Jaroussky und Rolando Villazón. Und diese Besetzung hält, was ihre Namen versprechen. Versprochen!

Michael Blümke, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011



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