In London beginnen wir unsere Opernrundreise durch Europa dieses Mal. Dort hat Plácido Domingo im Juni 2010 sein Debüt als Verdis »Simon Boccanegra « gegeben. Hört man ihn in dieser Partie, mit der er auch in Berlin zu erleben war, bedauert man, dass er sie nicht schon früher in Angriff genommen hat. Als Liebespaar stehen Joseph Calleja mit äußerst klangschönem, geschmeidigem Tenor, der auch die dramatischen Abschnitte beeindruckend meistert, und die recht sichere, gleichwohl nicht ungefährdete Marina Poplavskaya (der es leider ganz gehörig an Temperament mangelt) auf der Bühne. Ferruccio Furlanettos ansonsten sehr solider Fiesco versucht sich allzu oft im vokalen Aufbäumen, wofür die Stimme mittlerweile weder sicher noch ausgeglichen genug ist. Die Inszenierung im leicht variablen Einheitsbühnenbild sticht zwar nicht gerade positiv hervor, stört aber auch nicht allzu sehr. (EMI 9178259)
Weiter geht’s nach Amsterdam, wo Puccinis »La fanciulla del West« im Dezember 2009 von Nikolaus Lehnhoff als eine Mischung aus Hollywood-Show, Trash-Musical und Westernparodie inszeniert wurde. Der erste Akt spielt in einer Mafia-/Schwulen-/Biker-Bar, der zweite in Minnies puffigem Barbie- Wohnwagen, um schließlich im dritten in einem wahrlich fulminanten Finale zu gipfeln. Eva-Maria Westbroek bewältigt die strapaziöse, eigentlich unsangliche Titelpartie bewundernswert. Dick Johnson ist mit Zoran Todorovich als eine Art verletzlicher Obermacho optisch, darstellerisch und stimmlich perfekt besetzt. Als abgewiesener Sheriff Jack Rance ist Lucio Gallo mit seinem eher lyrischen Bariton häufig (und besonders in der Höhe) zum Forcie- ren gezwungen, was er den vielen zu dramatischen Partien der letzten Jahre zu verdanken hat. (Opus Arte/Naxos OA 1039 D)
Für zwei französische Opern begeben wir uns nun nach Paris. An der Opéra Comique, der Stätte der Uraufführung, brachte John Eliot Gardiner im Juni 2009 »Carmen« mit der ihm eigenen rhythmischen Prononciertheit auf Originalinstrumenten zur Aufführung. Anna Caterina Antonacci IST Carmen, man kann sich diese Rolle kaum mehr anders, ganz sicher aber nicht besser vorstellen. Ihr zur Seite Andrew Richards als Don José mit weichem, raffiniert geführtem Tenor, der sich mit dieser schwergewichtigen Rolle allerdings – so sehr er hier auch zu begeistern versteht – auf Dauer keinen Gefallen tut. Eine Produktion, die packend und glaubwürdig in Szene gesetztes Drama bietet. (FRA/harmonia mundi FRA 004)
Im Januar 2010 brillierte Jonas Kaufmann als idealer »Werther«, leidenschaftlich, bewegend, dabei höchst differenziert – so stellt man sich Massenets romantischen Helden vor. Sophie Koch verfügt als Charlotte über den nötigen mädchenhaften Charme, die Verzweiflung im dritten und vierten Akt nimmt man ihr nicht ab. Gesanglich aber ist sie absolut souverän, bietet mit ihrem in den letzten Jahren fülliger, volltönender gewordenen Mezzo eine überragende Leistung. (Decca/Universal 074 3406)
Von Frankreich nach Österreich: Bei den Salzburger Festspielen 2003 wurde »La clemenza di Tito« zwar nicht in allem nachvollziehbar, insgesamt aber mit sehr stimmiger Personenregie in Szene gesetzt. So sehr Nikolaus Harnoncourt über weite Strecken der gewohnt inspirierte Sachwalter Mozarts ist, stören doch immer wieder Manierismen den natürlichen Fluss der Musik. Leider findet er diesbezüglich in Vesselina Kasarova eine Verbündete, so hinreißend sie ihren Sesto auch singt, so überzeugend sie ihn auch spielt. Einst mit einer betörend schönen lyrischen Stimme gesegnet, kämpft sich Dorothea Röschmann mit substanzloser Tiefe und immer wieder heftig forcierend durch die Vitellia. Elina Garanča lässt keinen Zweifel daran, dass dieser vollsaftige Annio bald ein Sesto sein wird. Und Michael Schade ist bis in die vertrackten Koloraturen hinein ein überragender Tito. (Arthaus/Naxos 107 181)
Harnoncourt stand auch am 5. Dezember 2009, einen Tag vor seinem 80. Geburtstag, im Theater an der Wien bei Haydns »Il mondo della luna« am Pult – gänzlich unmanieriert, dafür voller Drive und Witz: musikalische Freuden pur. Auch dank eines durch und durch hervorragenden Gesangsensembles ohne Ausfälle, mit Dietrich Henschel als einsatzfreudigem Buonafede an der Spitze einer umtriebigen Inszenierung von Tobias Moretti. (C-Major/ Naxos 703508)
Womit wir in die Wiener Staatsoper wechseln, wo uns mit dem vollständigen »Don Carlos« in der fünfaktigen französischen Fassung eigentlich »grand opéra« erwarten sollte. Die allerdings versagt uns Peter Konwitschny in seiner Inszenierung aus dem Jahr 2004, die erst ab dem dritten Akt inspiriert wirkt und greift. Bei den Sängern gebührt den Herren die Palme, besonders Alastair Miles als ausgeglichener, klangvoller Philippe. Ramón Vargas’ Stimme ist nicht mehr die, die sie einmal war, dennoch ist sein Carlos ein Pluspunkt der Aufführung. Dem Rodrigue von Bo Skovhus, eher ein intellektueller als ein sinnlicher Sänger, fehlt der große Bogen. Bei Iano Tamar wechseln sich packende Passagen mit stimmlich unausgewogenen ab. Und Nadja Michael überzeugt vor allem als Darstellerin, weniger mit ihrer unsteten Durchschnittsstimme. (Arthaus/ Naxos 107 187)
Zum Abschluss ein Besuch in der Mailänder Scala. Donizettis vergnügliche Farce »Viva la mamma« stand dort im Oktober 2009 auf dem Spielplan. So ganz ausgeschöpft wird das Potential des Werkes allerdings nicht. Da dürfte es aus dem Orchestergraben leichter sprühen und espritvoller schäumen. Jessica Pratt meistert die Daria zwar sehr anständig, doch verlangt der Part eine Sängerin, die souverän über den virtuosen Anforderungen steht, um damit spielen und alles mit lockerer Selbstverständlichkeit servieren zu können. Dafür kommt man bei Vincenzo Taormina auf seine Kosten, der die Möglichkeiten der dankbaren Travestierolle der Agata ausgiebig nutzt. (BelAir/harmonia mundi BAC 063)
Michael Blümke, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011
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