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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Robert Dämmig

Ragna Schirmer

Georg Friedrich Hammond

Im Klang gleich dreier Epochen spiegelt die Pianistin Händels Orgelkonzerte. Und der Großmeister des melodischen Einfalls zeigt sich unverwüstlich.

Die einleitende Frage, ob sie gerne nach Rezept koche, empfindet Ragna Schirmer nicht als abwegig – nicht, wenn es um Händel geht. Der barocke Sinnenmensch liegt ihr ganz offensichtlich. Die Einspielung seiner Klaviersuiten, die die inzwischen in Halle – der Geburtsstadt des Weltenbürgers – lebende Pianistin vor vier Jahren veröffentlicht hatte, war ein intimer Dialog mit der Vergangenheit, und zwar im wiegenden Tanzschritt. Mit Stolz nimmt sie für sich in Anspruch, in Sachen Händel eine der erfahrensten und belesensten Interpretinnen auf dem modernen Flügel zu sein. Dass sie nun Händels Orgelkonzerte opp. 4 und 7 auf gleich drei Instrumente und Klangwelten verteilt anbietet, wirkt aber nur auf den ersten Blick wie ein freizügiger Umgang mit der Urtext-Autorität.
Orgelkonzerte lösen bei manchen vielleicht das Vorurteil kirchenmusikalischer Muffigkeit aus – diese hier glänzen verführerisch, nun in London seine ganze Kunst an Farbigkeit, melodischen Einfällen und Virtuosität auf seinem Instrument in Stellung. Und die Rechnung ging auf: Die Orgelkonzerte wurden zum Publikumsmagneten der Oratorienaufführungen.
Auch Ragna Schirmer konnte sich dem Reiz dieser Musik nicht entziehen. Mit andauernder Beschäftigung wuchs ihr Wunsch, diese Musik auf dem Flügel zu spielen, sie heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. Und das könnte durchaus im Sinne der Zeit gewesen sein. Bis 1770 erschienen dreizehn Neuauflagen, davon zwölf der Solostimme – ein Beleg, dass die Werke von Liebhabern auch am heimischen Cembalo allein oder mit wenigen Streichern musiziert wurden. „Händels Konzerte sehen bis auf eine Ausnahme kein Pedal vor. Es sind einfach Konzerte für ein Tasteninstrument, und ich wollte sie einmal von dieser Sphäre des Orgelklangs befreien.“ Doch das ist gar nicht so einfach. Denn im Gegensatz zum Klavierton, der nach dem Anschlag verklingt, lässt sich der Orgelklang beliebig halten. „Gerade mit einem Orchester würde das Klavier dann doch eher nackt klingen. Ich habe also Verschiedenes ausprobiert, um den Klang zu verlängern, mal durch Verzierungen, mal durch Ergänzungen in der linken Hand, oder durch Zusätze wie Skalen und Tremoli. Außerdem habe ich mir bei erfahrenen Bandleadern und Arrangeuren Anregungen geholt und aus diesen Gesprächen wieder ganz neue Ideen entwickelt.“
Dazu zählt auch der ungewöhnliche Wunsch, einige der Konzerte für Jazzband arrangieren zu lassen. Den Zündfunken zu dieser Grenzerfahrung lieferte der zweite Satz aus Konzert op. 7/V, eine riesige, um sich selbst kreisende Chaconne. „Es gibt von diesem Satz sehr viele Lesarten, fast jeder Organist macht das etwas anders. Die gezupften Streicher haben einen eigenwilligen Groove, etwas unbeirrt Vorwärtstreibendes, und ich dachte jedes Mal beim Anhören: ‚Das müsste man mal mit Schlagzeug machen.‘ Nun, und dann haben wir’s gemacht!“. Doch Jazz ist ein riskantes Unterfangen für eine klassische Musikerin. „Für mich war klar, dass ich mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchte. Also habe ich Stefan Malzew gebeten, Arrangements zu schreiben, bei denen ich die Originalstimme spielen kann. Die jazzigen Einwürfe und Rhythmen steuert die erfahrene Band bei.“ Auf diesem Wege kam Ragna Schirmer kurzerhand auch in den Besitz eines kostbaren Instruments, einer Hammond-Orgel B3, auf der sie die Jazzband stilvoll ergänzt.
Im Gegenzug inspirierte das „JazzPeriment“ zum Blick zurück, mit Versionen für Hammerflügel und Barockensemble. Und auch innerhalb der jeweiligen Klangwelten gibt es Überraschungen: „In einem Konzert lässt Händel Solo-Violine und Solo-Cello hervortreten, das nun in London seine ganze Kunst an Farbigkeit, melodischen Einfällen und Virtuosität auf seinem Instrument in Stellung. Und die Rechnung ging auf: Die Orgelkonzerte wurden zum Publikumsmagneten der Oratorienaufführungen. Auch Ragna Schirmer konnte sich dem Reiz dieser Musik nicht entziehen. Mit andauernder Beschäftigung wuchs ihr Wunsch, diese Musik auf dem Flügel zu spielen, sie heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. Und das könnte durchaus im Sinne der Zeit gewesen sein. Bis 1770 erschienen dreizehn Neuauflagen, davon zwölf der Solostimme – ein Beleg, dass die Werke von Liebhabern auch am heimischen Cembalo allein oder mit wenigen Streichern musiziert wurden. „Händels Konzerte sehen bis auf eine Ausnahme kein Pedal vor. Es sind einfach Konzerte für ein Tasteninstrument, und ich wollte sie einmal von dieser Sphäre des Orgelklangs befreien.“ Doch das ist gar nicht so einfach. Denn im Gegensatz zum Klavierton, der nach dem Anschlag verklingt, lässt sich der Orgelklang beliebig halten. „Gerade mit einem Orchester würde das Klavier dann doch eher nackt klingen. Ich habe also Verschiedenes ausprobiert, um den Klang zu verlängern, mal durch Verzierungen, mal durch Ergänzungen in der linken Hand, oder durch Zusätze wie Skalen und Tremoli. Außerdem habe ich mir bei erfahrenen Bandleadern und Arrangeuren Anregungen geholt und aus diesen Gesprächen wieder ganz neue Ideen entwickelt.“ Dazu zählt auch der ungewöhnliche Wunsch, einige der Konzerte für Jazzband arrangieren zu lassen. Den Zündfunken zu dieser Grenzerfahrung lieferte der zweite Satz aus Konzert op. 7/V, eine riesige, um sich selbst kreisende Chaconne. „Es gibt von diesem Satz sehr viele Lesarten, fast jeder Organist macht das etwas anders. Die gezupften Streicher haben einen eigenwilligen Groove, etwas unbeirrt Vorwärtstreibendes, und ich dachte jedes Mal beim Anhören: ‚Das müsste man mal mit Schlagzeug machen.‘ Nun, und dann haben wir’s gemacht!“. Doch Jazz ist ein riskantes Unterfangen für eine klassische Musikerin. „Für mich war klar, dass ich mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchte. Also habe ich Stefan Malzew gebeten, Arrangements zu schreiben, bei denen ich die Originalstimme spielen kann. Die jazzigen Einwürfe und Rhythmen steuert die erfahrene Band bei.“ Auf diesem Wege kam Ragna Schirmer kurzerhand auch in den Besitz eines kostbaren Instruments, einer Hammond-Orgel B3, auf der sie die Jazzband stilvoll ergänzt. Im Gegenzug inspirierte das „JazzPeriment“ zum Blick zurück, mit Versionen für Hammerflügel und Barockensemble. Und auch innerhalb der jeweiligen Klangwelten gibt es Überraschungen: „In einem Konzert lässt Händel Solo-Violine und Solo-Cello hervortreten, das haben wir kammermusikalisch besetzt. Bei einem anderen ist ein Flötenregister der Orgel gefordert, was mich auf die Idee brachte, den Orgelpart für drei Holzbläser arrangieren zu lassen, da übernimmt der Hammerflügel die Rolle des Orchesters. Dafür spiele ich zum Beispiel die Konzerte HWV 295 und 296a komplett alleine.“ So überträgt sich Händels Farbigkeit bis in die Bearbeitungen hinein.
In der Aufnahmephase schließlich mauserte sich das Projekt durch die drei Ensembles und die vielen Besetzungsvarianten zum logistischen Großmanöver. „Über eine ganze Weile war ich die einzige, die im Kopf hatte, wie das Projekt am Ende klingen sollte. Und ich wusste, welche Musiker bei welcher Probe oder Aufnahmesitzung dabei sein mussten, als selbst die Tonmeister schon längst aufgegeben hatten, da durchzusteigen.“

Ihr neues Projekt wird natürlich die Puristen auf den Plan rufen

Gerade erst ist die Rundumkürzung an Baden-Württemberger Musikhochschulen vom Tisch, wo die Standorte Stuttgart und Mannheim auf die Richtungen Klassik und Pop/Jazz konzentriert werden sollten. Begegnungen zwischen den Genres, wie Schirmers Händelprojekt, können im Uni-Alltag dann nicht mehr entstehen. Schirmer selbst, die mit 28 Jahren in Mannheim Klavierprofessorin wurde, schmiss nach acht Jahren hin, entnervt vom universitären Betrieb. Das „Problem Musikhochschule“ sieht sie dennoch zwiespältig: „Bei einem Anteil der Kultur am öffentlichen Haushalt von gerade einmal rund einem Prozent lehne ich Kürzungen rigoros ab. Zu viel wird da durch Unachtsamkeit zerstört, was nur mühsam wieder herzustellen ist, wenn die Gelder einmal wieder bewilligt werden.“ Auch misstraut sie der Kompetenz der Beamten in Kulturbelangen: „Ich selbst wurde eingeladen, in verschiedenen Gremien kulturpolitisch zu beraten. Doch ich musste einsehen, dass ich damit gar nichts bewegen konnte.“ Aber: Sie sieht ganz generell die deutschen Hochschulen ebenso in der Pflicht zur Selbstkontrolle und eine Notwendigkeit zur Ausrichtung am Markt. „Wie ist es um einen Ausbildungszweig bestellt, der kaum Musikpädagogen, aber viel zu viele Solisten produziert, dafür die Stellen aber im Verhältnis 9:1 mit Studenten aus dem Ausland besetzen muss?“, so Schirmer zu ihren Erfahrungen. Inzwischen konzentriert sie sich seit 2009 auf die Begabtenförderung, eine Tätigkeit, die sie als weitaus befriedigender und sinnvoll erlebt.
Ihr neues Projekt wird natürlich die Puristen auf den Plan rufen: Händel auf der Hammond-Orgel – und wo bleibt die Authentizität? Ragna Schirmer hat darauf eine gelassene Antwort: „Man kann die Intentionen eines Komponisten trotz historischer Instrumente ebenso verfehlen, wie man sie mit modernen Instrumenten treffen kann. Mir geht es allein um diese Intention.“ Das kann für Schirmer bedeuten, dass man ein Konzert sogar mit Augenzwinkern auf links dreht. „Mit Verlaub, ich bin mir sicher, dass Händel diesen hüpfenden Anfang von op. 4/VI nicht bierernst gemeint haben kann. Da steckt so viel Witz drin, so viel Swing, und wenn man das für Jazzband arrangiert und kurz vor Schluss noch eine bayerische Blaskapelle zitiert, kann das durchaus den Kern treffen. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass auch Händels Humor sich darin widerspiegelt.“

Neu erschienen:

Georg Friedrich Händel

Die Orgelkonzerte

Ragna Schirmer, Händelfestspielorchester Halle, Ensemble DaCuore, Matzew & The Strings

edel/Berlin Classics

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Kuckucksuhr mit Manualen

Das wohl berühmteste Orgelkonzert F-Dur HWV 296a verdankt seinen Beinamen den darin enthaltenen Vogelstimmen-Imitationen: „The Cuckoo and The Nightingale“. Während Händel für die Außensätze seiner Triosonate HWV 401 zu Leibe rückte, präsentiert der zweite Satz Programmmusik. In den Kontrast zwischen kunstvoll umspielten und ausgezierten Passagen und den wiederkehrenden fallenden Terzen lässt sich schon mit wenig Fantasie ein Sängerwettstreit zwischen Kuckuck und Nachtigall ausmachen.

Carsten Hinrichs, 07.12.2013, RONDO Ausgabe 6 / 2013



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