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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Musikstadt

Bologna: Paläste, Padres, Pasta

In jüngster Zeit will sich Bologna vehement als Musikmetropole profilieren. Gemeinsam mit Sevilla, Istanbul und Glasgow hat man sich zu einer der Unesco-Musikstädte erklären lassen. Mit dem Teatro Comunale, dem Bologna Festival sowie dem traditionsreichen Conservatorio und seiner grandiosen Musiksammlung hat man auch eine Menge zu bieten, wie Reiseredakteur Matthias Siehler findet.

Wer oder was fehlt hier? Man merkt es erst auf den zweiten Blick. Die Touristen. Das nämlich hat Bologna mit Turin gemein: Zwei der schönsten italienischen Städte pfeifen weitgehend auf die durchreisenden Ausländer, weil sie als Industriemetropolen sich ökonomisch selbst genug sind. Und so genießt die Bevölkerung ziemlich mit sich allein die Schönheiten ihrer ebenfalls jahrhundertealten, harmonisch und organisch gewachsenen Kommunen – in der ehemaligen Metropole der savoyardischen Könige im Piemont ebenso wie in der Hauptstadt der Emilia. Und noch eines haben beide gemeinsam: Das Stadtbild wird neben den Marmorfassaden vor allem vom Backstein beherrscht. Von der Renaissance bis zum Rokoko vielfach fantasiereich architektonisch abgewandelt, diente er als variables wie günstiges Baumaterial.

"La grassa" - "Die Fette"

Nicht überall in Bologna stößt man freilich so unvermittelt darauf, wie an der rauen, unvollendeten Fassade der dem Stadtheiligen San Petronio geweihten Kirche auf dem Hauptplatz Piazza Maggiore. Sie liegt gegenüber den mittelalterlichen Palästen D’Accursio, der heute das Rathaus beherbergt, und dem zinnenbekrönten Palazzo Re Enzo, in dem einst der Sohn Kaiser Barbarossas als Geisel gehalten wurde, sowie der bronzeprallen Fontana dell Nettuno, wo Giambolognas Meergott energisch das Szepter hebt. Die schmuck- und fast formlose Kirchenwand reckt sich wie ein Fanal. Erzählt sie doch davon, wie das wohlhabende, aber meist vom Papst als Teil des Kirchenstaates ausgebremste Bologna in wenigen Jahren vorübergehender Unabhängigkeit hier ein klerikales, vom Bürgerstolz zeugendes Gegenmonument errichten wollte. Die stadtbeherrschend hochgotische San-Petronio-Kirche mit der ältesten funktionierenden Orgel der Welt ist äußerlich unscheinbar, aber hoch – und bis heute größer als die dem Papst unterstehende, reizlos barocke Kathedrale in einer Seitenstraße.
Man nennt Bologna »la grassa« – »die Fette« –, nicht weil es hier so behäbig zugeht, überall trifft man auf dynamischen Unternehmergeist. Der Beiname kommt einerseits davon, dass man es sich ökonomisch gut gehen ließ und lässt, anderseits aber auch das üppige Essen schätzt. Kein Wunder, dass die Bologneser Küche bis heute als die beste Italiens gilt. Das verdiente Geld wurde nicht nur in den Ausbau der riesigen Universität gesteckt, die älteste der Welt, gegründet im 11. Jahrhundert, die mit ihren vielen, Rad fahrenden, gern auch politisch querschießenden Stundenten die Bevölkerungsstruktur entscheidend beeinflusst. Auch die Kunst profitierte vom Geschick der Bologneser Kaufleute. Hier sind zweifellos alle Museen bemerkenswert und – bis auf die Pinacoteca Nazionale – auch noch kostenlos zu besichtigen: Die universitären Sammlungen und deren herrliches Anatomisches Theater (Seziersaal) im wappenverzierten Palazzo dell’Archiginnasio, das Archäologische Museum und die Bildergalerie, die die bedeutendsten Werke der wichtigen Bologneser Schule, aber auch hinreißende Raffaels beherbergt, das feine Museo des Malers Giorgio Morandi, der hier wirkte, und – ganz neu – das zeitgenössische Mambo-Museum und die Cineteca.

Weltmusikerbe

In jüngster Zeit will sich Bologna nun auch vehement als Musikmetropole profilieren. Schließlich gibt es hier mit dem nobel mit Säulenbalkonen verzierten Teatro Comunale, einem der wenigen erhaltenen Theaterbauten der berühmten Gebrüder Bibiena, eines der vitalsten und traditionsreichsten italienischen Opernhäuser. Dort wirkten zuletzt Riccardo Chailly und Daniele Gatti als Generalmusikdirektoren, in den Neunzigerjahren erlebte hier Christian Thielemann einige fruchtbringende italienische Lehrjahre, an die sich die Musiker des hochgeschätzten Orchesters noch gern erinnern. Im Sommer spielt man vorwiegend Rossini beim Festival in Pesaro, doch im Winter gibt es auch immer wieder Wagner, schließlich wurde hier 1871 mit dem »Lohengrin« die erste Wagner-Oper in Italien gespielt. Natürlich hat man auch ausgedehnte Konzertreihen im eigenen Haus. Zudem ist in Bologna das temporär zusammenkommende Orchestra Mozart beheimatet. Das wurde anlässlich des letzten großen Komponistenjubiläums 2006 als vorerst jüngstes Instrumental-Baby von Claudio Abbado gegründet. Als aus Lehrern und Studenten rekrutiertes Kammerensemble reist man mit dem nur noch selten auftretenden Maestro dreimal im Jahr durch Oberitalien, in Bologna tritt die Formation im umgebauten Kino Teatro Manzoni auf, einem modernen, aber intimen Raum, wo die Stadt auch die Hauptereignisse des Bologna Festivals ausrichtet, bei dem von Gidon Kremer bis Jordi Savall, Martha Argerich bis Yuri Temirkanov viele Berühmtheiten des Musikbetriebs zu erleben sind.
Neben der Chiesa di San Giacomo Maggiore ist im alten Klostergebäude das traditionsreiche Conservatorio untergebracht, dem schon Gioachino Rossini und Ottorino Respighi als Direktoren vorstanden. In Rossinis ehemaligem Salon kann man immer noch das Séparée bestaunen. Die Hochschule beherbergt außerdem eine grandiose Musikbibliothek, eine der bedeutendsten der Welt, mit mehr als 110.000 Bänden, kostbarsten Drucken, 12.000 Opernlibretti und 300 Gemälden. Sie ist die Frucht der fast manisch anmutenden Sammelwut des Padre Martini. Dieser 1706 geborene und 1784 weltweit betrauert gestorbene Franziskanermönch war der wichtigste Musikgelehrte und Theorielehrer seiner Zeit. Eine unangefochtene Autorität, auch dank des mit Hilfe eines dichten Netzes von Schülern und Informanten in ganz Europa gesammelten und erbettelten Musikalienschatzes, so etwas wie das Wikipedia-Lexikon des 18. Jahrhunderts für alle Komponisten, Interpreten und Gelehrten. Nach manchen raren Büchern ließ er bis zu 20 Jahre suchen. Seine erhaltene Korrespondenz umfasst 7.000 Briefe. Er verfasste die erste wichtige Musikgeschichte, konnte von geplanten fünf Bänden aber nur drei vollenden. Wenn eine Fragestellung nicht bei Padre Martini gelöst werden konnte, dann bei niemand Anderem.

Klingende Historie

Diese unvorstellbar reiche und wertvolle Sammlung wurde dank umsichtiger Nachfolger des Padre nie auseinander gerissen, sondern vermehrt und bestens konserviert. Viel Wind hat man außerhalb Bolognas freilich nicht davon gemacht. Seit sechs Jahren immerhin bildet sie den fantastischen Grundstock des im feinen Palazzo Sanguinetti untergebrachten Museo della musica. In den übersichtlichen, reichhaltig ausgemalten historischen Räumen kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Nach den neusten didaktischen Möglichkeiten sind hier, konzentriert in neun Sälen, einige der größten Kostbarkeiten der Musikgeschichte ausgebreitet. Lustvoll kann man staunen und genießen, selten ist Wissensvermittlung so sinnlich und schön gelöst worden. Mögen andere Museen größer sein und sich stärker plustern, nirgendwo wird klingende Historie so anschaulich vermittelt wie in Bologna.
Da gibt es ausgefallene Instrumente, weltberühmte Porträts von Vivaldi, Rossini und anderen. Neben unzähligen bedeutenden Autografen von Monteverdi, Gluck, Cimarosa, Rossini, Wagner und Respighi und dem 1501 in Venedig gefertigten ersten Musikdruck mit beweglichen Lettern, einem gregorianischen Kanonmanual, finden sich zwei Schwerpunkte: Zum einen zeigt ein Raum das Erbe des in Bologna seine Rente verzehrenden Carlo Broschi, der als Kastrat Farinelli zum berühmtesten Opernkünstler des 18. Jahrhunderts avancierte. Der Glanz der Barockoper wird hier in Partituren, Kostümentwürfen, Theatermodellen und Porträts lebendig – auch das Grab Farinellis liegt noch außerhalb der Stadt. Zum anderen widmet man sich den beiden berühmtesten Kontrapunkt-Schülern des Padre Martini. Der eine war Wolfgang Amadeus Mozart, der hier einige Monate studierte und 1770 (freilich erst im dritten Anlauf) an der altehrwürdigen Accademia filarmonica mit einem ebenfalls ausgestellten Antiphon examiniert wurde. Auch die historischen Räume in dieser noch existierenden Institution lassen sich besichtigen. Der zweite wichtige Martini- Zögling war der Bachsohn Johann Christian, auch bekannt als Mailänder oder Londoner Bach, dessen galanter Rokokostil noch Mozart beeinflusste. Von beiden hatte sich der Padre, wie er es immer tat, Porträts für seine Sammlung erbeten. Leopold Mozart ließ deshalb das berühmte Bild seines Sohnes als Ritter vom Goldenen Sporn anfertigen, und Bach saß keinem Geringeren als Thomas Gainsborough Modell. Beide Bilder hängen heute natürlich in Bologna.

Padre Martini lebt

Padre Martini war freilich auch Komponist, ein interessanter und harmonisch wagemutiger. Seine Manuskripte werden ebenfalls in Bologna aufbewahrt. Und seit einiger Zeit auch wieder klanglich zum Leben gebracht. Denn um das kulturelle Erbe der Stadt kümmern sich schon seit Jahren die überall präsenten Finanzinstitute mit ihren Stiftungen. Während die Fondazione Cassa di Risparmio im herrlich freskierten, Jahrzehnte nicht zugänglichen Oratorio San Colombano die Kollektion historischer Musikinstrumente des Bologneser Sammlers Tagliavini mustergültig präsentiert, hat die Fondazione del Monte sich dem Padre Martini verschrieben und ein alljährlich um Pfingsten herum stattfindendes Festival Martini initiiert.
Unter der Leitung des Dirigenten und Cellisten Federico Ferri und des Pianisten Daniele Proni spielt deren Ensemble Accademia degli Astrusi in herrlichen Kirchen, darunter in der Jahrtausende alten Basilica di Santo Stefano. Konzentriert lauscht ein kenntnisreiches Publikum diesen frisch edierten, so lust- wie klangvoll dargebotenen, gar nicht akademischen Schätzen. Padre Martini erweist sich dabei als gewiefter Experimentator, der mit türkischer Janitscharen-Musik umgeht, aber auch mehrere Opern hinterlassen hat. Dieses reichhaltige Vokalerbe soll in den nächsten Jahren ebenfalls wieder erklingen. Auch CD-Projekte sind in Planung. Und nach den Konzerten ist natürlich der Besuch in einem der vielen frugalen, aber ausgezeichneten Bologneser Ristoranti Ehrensache.

Matthias Siehler, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2010



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