Das erhebende Gefühl, man könne mit beiden Händen in die sagenhafte Fülle der Archivschätze von »His Masters Voice« greifen, vermitteln die regelmäßig erscheinenden schwarzen »Icon«-Boxen. Sie versammeln die Einspielungen einzelner Künstler zu umfangreichen, klingenden Porträts. Eine der kürzlich veröffentlichten Boxen dieser Reihe ist Nicolai Gedda gewidmet. Sie repräsentiert auf elf CDs das immens vielseitige Können des schwedisch-russisch-deutschen Tenors und ist eine ideale Einstiegsdroge für Gedda-Fans bzw. solche, die es werden wollen. Natürlich sind seine einschlägigen französischen, italienischen, russischen und deutschen Opernarien-Aufnahmen (oft Auskoppelungen aus Gesamteinspielungen) enthalten, daneben u. a. aber auch bisher seltener zu hörendes Geistliches von Bach und vor allem eine Reihe von Liedinterpretationen, die ebenfalls auf CD nicht allzu verbreitet sind: bemerkenswert eine »Schöne Müllerin« (1971) sowie französische Mélodies von Fauré, Poulenc, Debussy und Hahn (1967). Die letzte CD bringt schließlich noch ein umfangreiches Interview aus dem Jahre 1995, in dem Gedda aus seinem Leben erzählt.
Auch zu den Archivschätzen von EMI/HMV gehört Wolfgang Sawallischs Einspielung von Richard Strauss’ »Capriccio«, verwirklicht 1957/58 in London und nun, nach Ablauf der Rechte, von der Firma Naxos im Rahmen der Serie »Great Opera Recordings« wiederverwertet – in gewohnt asketischer Ausstattung ohne Libretto (dafür immerhin mit ausführlicher Inhaltsangabe), aber eben auch sehr preiswert. Ein Schnäppchen für denjenigen, der eine zeitlos gültige Einspielung dieses unterhaltsamen »Konversationsstücks« sucht, in dem bekanntlich die musikästhetische Frage nach der Rangfolge von Wort und Musik quasi allegorisch beleuchtet wird. EMI-Produzent Walter Legge konnte in jenen goldenen Tagen der Schallplatte eine absolute Starbesetzung zusammenstellen: Neben seiner Frau Elisabeth Schwarzkopf (Gräfin) verpflichtete er u. a. Nicolai Gedda und Dietrich Fischer-Dieskau als konkurrierendes Künstlergespann Flamand und Olivier. Die weitere Besetzungsliste liest sich wie ein »Who is Who« der großen Namen und überrascht mit Wolfgang Sawallisch in der kleinen Rolle des Dieners. Der Pultstar singt – ein nettes Detail in dieser schon Legende gewordenen Produktion.
Aus der Tiefe der eigenen Gottverlassenheit stimmen in zahllosen barocken Kantaten die Sänger einen ganz anders gearteten Klagegesang an – auf Basis der markanten Worte von Psalm 130, »De profundis clamavi«. Auch Nikolaus Bruhns hat zum barocken Bußpsalmkantaten-Repertoire einen Beitrag geleistet, und der niederländische Bassist Max van Egmond spielte das aussagekräftige Lamento 1989 mit dem Ricercar Consort ein. Das Bruhns-Doppelalbum war damals Teil eines umfangreichen Aufnahmeprojekts deutscher Barockkantaten verschiedener Komponisten. Nun gibt es die Kantaten-Sammlung des von Dieterich Buxtehude ausgebildeten norddeutschen Meisters als Einzeledition. Mit von der Partie sind neben van Egmond auch Jill Feldmann, Greta de Reyghere, James Bowman und der überaus flinke Guy de Mey, der in der Solokantate »Jauchzet dem Herrn, alle Welt« (Psalm 100) das jubelnde Gegenstück zum reuevollen Bußgesang van Egmonds liefert.
Die Instrumentalmusik hat sich am Beginn der Barockzeit umfassend von der Vokalmusik emanzipiert. Dass sie dennoch ursprünglich von dieser abstammt, zeigt die sprachnahe Expressivität gerade der frühbarocken Sonaten, Fantasien oder Suitensätze aus Italien, der damaligen Quellgegend des revolutionär Neuen. Unter dem Titel »La suave melodia« legte das Ensemble Badinerie ein Programm mit Kammermusik aus den Jahren 1600 bis 1660 vor. William Dongois’ Zink mischt sich vorzüglich mit Rahel Stoellgers Blockflötenspiel, und eine erstklassige Continuogruppe liefert die klangvolle Basis für das vielfältige melodische Treiben. Gleichzeitig erschienen u. a. auch zwei ältere CDs des Oboisten Paul Dombrecht in derselben Reihe wieder: Barocke französische Oboenmusik von Couperin, Hotteterre mit Wieland Kuijken an der Gambe (1988) sowie virtuoses romantisches Oboenrepertoire von Schumann und Kalliwoda, begleitet von Jos van Immerseel (1983).
Michael Wersin, 25.01.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2010
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