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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Die großen Klavierbauer

Jenseits von Steinway

In einer Musikwelt, in der Individualität als höchstes Gut gilt, werden die großen Konzertpodien zu 98 Prozent von den Instrumenten eines einzigen Herstellers dominiert. Von Steinway & Sons. Carsten Niemann hat sich aber auch gezielt auf Wege »jenseits von Steinway« begeben.

Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte jede Klavierbauernation eine Vielzahl von Herstellern vorweisen. Steinway war bis zum Zweiten Weltkrieg von einer Monopolstellung weit entfernt. Zu seinen mächtigsten Gegenspielern gehörte damals Bechstein: »Es gab zwei dominierende Klangphilosophien«, erklärt uns der Berliner Klavierbauer Christophorus Goecke, der früher übrigens selbst bei Bechstein arbeitete: Dem transparenteren, schlankeren, lyrisch-herben Klang der Berliner Instrumente, den Künstler wie Artur Schnabel bevorzugten, stand der heute so bewunderte diskantstarke, orchestralere Klang des Steinway gegenüber. Einen dritten Weg wählte die Firma Bösendorfer. Den eigenen Anspruch unterstrich man um 1900 mit dem »Imperial«, der mit seinen 97 Tasten und 290 cm Länge der damals größte Konzertflügel war – auch wenn er mit seiner Bösendorfer-typischen Konstruktionsweise, bei der die schmalere Kastenwand und die stabilisierende Raste in den Gesamtklang einbezogen sind, bei Weitem nicht so massiv klingt, wie es der äußere Anschein vermuten ließe.
Der Vielfalt der Goldenen Zwanziger bereiteten Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg ein jähes Ende: 1945 lagen die Werke bzw. Holzlager der bedeutenden europäischen Klavierbauer in Schutt und Asche. Steinway mit seinem unbeschädigten New Yorker Hauptsitz ging gestärkt aus dieser Krise hervor – und baute eine weltumspannende Infrastruktur auf, zu der bis heute vertraglich gebundene Steinway-Artists und All- Steinway-Schools gehören. »Wo man ist, trifft man auf Händler und Betreuer, die Ahnung von Steinway haben«, beschreibt Birgitta Wollenweber, Professorin an der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler, die praktischen Vorteile, von denen Steinway-Fans unter den Spitzenpianisten profitieren. Hinzu komme eine Stabilität bei den Modellen, von denen man schon jetzt wisse, dass sie jene 20 Jahre überleben, die ein Konzertflügel einem Spitzenpianisten standhalten muss. Auch Wollenwebers Kollege Fabio Bidini, ein offizieller Steinway-Artist, sieht keinen Grund, die Artenvielfalt an der Hochschule durch den gezielten Ankauf möglichst vieler verschiedener Marken zu befördern – jedenfalls dann nicht, wenn sie nicht seinen Vorstellungen eines perfekten Instruments entsprechen. »Unser Metier ist schon schwer genug«, sagt er zuspitzend – und sieht nicht ein, warum er seine Studenten das Ideal eines singenden Tons nicht zu allererst auf einem Steinway deutscher Produktion lehren solle.
Doch nicht alle Tastenvirtuosen teilen dieses Ideal. Einer der prominentesten von ihnen ist András Schiff, der eine besondere Vorliebe für Bösendorfer pflegt. »Einen Bösendorfer zu spielen, erfordert Feingefühl«, so lässt er sich vom Hersteller zitieren. Seiner Auffassung nach seien viele Pianisten bezüglich Klangfarben und Anschlagsnuancen einfach nicht genug geschult und hätten deswegen mit dem Wiener Instrument klanglich und mechanisch zunächst mehr Schwierigkeiten. Lohn der Mühe sei eine große Klangfarbenvielfalt sowie erstaunliche Differenzierungsmöglichkeiten besonders im Pianissimobereich. Und nicht zuletzt glaubt der erfolgreiche Beethovenund Schubertinterpretet, dass sich im Bösendorfer auch der Geist der Wiener Hammerklaviere des frühen 19. Jahrhunderts erhalten habe.

Es ist eine interessante Entwicklung, dass es ausgerechnet der Konzern Yamaha war, der Bösendorfer 2007 aufkaufte. Dabei stehen die Zeichen jedoch nicht auf Angleichung: Vielmehr, so verspricht Bösendorfers Kommunikationschef Rupert Löschnauer, wolle man die unterschiedlichen Stärken und Vorzüge der beiden Marken in Zukunft sogar intensiver herausstellen und bewerben. Was Yamahas eigene Konzertflügel betrifft, so hat es der Konzern dabei noch immer schwer, sich vom Image eines technisch gewandten Steinway-Imitators zu befreien. Zwar gelten Yamaha-Instrumente als robust, doch am Klang scheiden sich die Geister: Was der eine als objektiv und ausgeglichen lobt, erscheint dem anderen flach, ja seelenlos. Ein Vorwurf, den Swjatoslaw Richter so kommentiert haben soll: »Ich brauche keinen Flügel mit Charakter – ich habe selbst Charakter.«
Zu den genauen Beobachtern der Erfolgsstory von Steinway gehört auch dessen ehemaliger Hauptkonkurrent Bechstein. Nach einer wechselvollen Geschichte setzte Firmeninhaber Karl Schulze den Wechsel der Produktionsstätte von Berlin in das sächsische Seifhennersdorf und die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft durch. Ebenso wie Steinway & Sons, die 1992 mit der von Kawai gefertigten Marke »Boston« eine eigene preisgünstige Einsteigerklasse schufen, reagierte Bechstein auf die Konkurrenz durch asiatische Billiganbieter mit der Konstruktion einer Markenpyramide. Wobei es Schulze wichtig ist, dass es dadurch nicht zu einer Verwässerung der Qualitätsansprüche kommt. Die Strategie ging auf: Schulze konnte den Marktanteil innerhalb weniger Jahre von 3 auf 30 Prozent steigern. Bechstein- Wettbewerbe sowie Konzertreihen in den weltweit eingerichteten »Bechstein Centren« sorgen dafür, dass man die Marke mit namhaften Pianisten verbindet. Dennoch gibt es auch Stimmen, die beklagen, dass sich die Flügel der neuen Generation zu sehr von der alten Bechstein-Charakteristik entfernt hätten, um etwa den »gläsernen« Diskantklang dem brillanteren, singenden Ton des »großen Bruders aus Hamburg« anzunähern.
Eine engere Verbindung zur Klangtradition pflegt dagegen die Firma Blüthner. Wer einen der Klavierabende besucht, den die Leipziger Traditionsfirma regelmäßig in der Messestadt veranstaltet, kann sich nicht nur einen Eindruck vom traditionell kräftigen Bass und den runden, aber klaren »Champagnertönen« im Diskant verschaffen. Man hat auch gute Chancen, auf Mitglieder der Familie Blüthner-Haessler zu treffen, die das Unternehmen nach der Rückübertragung in Familienbesitz zu einer neuen Blüte geführt haben. Im Vergleich zu den ganz Großen der Branche punktete Blüthner bisher vor allem in kleineren Sälen auf der Ebene der Kammermusik und Liedbegleitung. Umso größer ist der Prestigegewinn, den Mikhail Pletnev der Firma durch seine jüngste Gesamteinspielung der Beethovenkonzerte verschaffte, in denen der runde, perlende Ton der Instrumente besonders vorteilhaft zur Geltung kommt.
Wer aber einen lebenden Gründervater des Klavierbaus kennenlernen will, muss heute in das norditalienische Salice fahren. Dort baut Paolo Fazioli seit 1981 Flügel, die schon jetzt dem Vergleich mit Steinway standhalten. Das Holz, aus dem die Flügel gefertigt sind, stamme aus dem Fleimstal, woher schon Stradivari seine Hölzer bezog, sagt man raunend. Doch noch wichtiger für den Erfolg dürfte der Kreis aus Klavierbauern, Physikern, Akustikspezialisten und Pianisten sein, mit denen Fazioli sein Klangideal entwickelte. Und das lässt sich durchaus auch nüchtern-präzise beschreiben: Klar und einheitlich in der Klangfarbe, weit im dynamischen Spektrum, lang anhaltend im Ton sowie geeignet für die deutliche Darstellung unterschiedlicher Stimmen im polyfonen Spiel will man sein. Zu den Spitzenmusikern, die für die Marke Partei ergreifen, gehören Angela Hewitt und Markus Schirmer. Offizielle »Fazioli-Artists« soll es jedoch auch dann nicht geben, wenn sich die Produktionszahlen, die zurzeit bei nicht mehr als 120 Instrumenten im Jahr liegen, weiter steigern sollten: Nur die Entscheidungsfreiheit des Musikers könne dafür garantieren, dass die künstlerischen Interessen nicht von kommerziellen Erwägungen beeinträchtigt werden.

Carsten Niemann, 08.02.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2010



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