Er war nicht immer der liebenswürdige, umgängliche Ge n t lema n , als den wir ihn vor Augen und in Erinnerung haben. Bis Mitte 30 galt Colin Davis gemeinhin als „Mr. Angry“, nach eigener Aussage war er damals schlicht ein „dämlicher Egomane“. Eine in der Tat radikale charakterliche Wandlung also, die der 1927 im südwestlich von London gelegenen Weybridge geborene Dirigent durchlief. Wobei es anfangs gar nicht danach aussah, als wäre dieser Berufswunsch realisierbar. Weil er nicht Klavier spielen konnte, wurde er nicht zur Dirigierklasse des Royal College of Music zugelassen. Stattdessen studierte er Klarinette und verdiente sich im Sommer im Orchester des Glyndebourne Festivals ein paar Pfund dazu. Neben der Aufbesserung seiner Finanzen bescherte diese Tätigkeit Colin Davis vor allem prägende künstlerische Eindrücke: Fritz Busch, den er dort 1949 bei der Arbeit am „Don Giovanni“ erleben konnte, blieb zeitlebens eines seiner großen Idole.
Der „Don Giovanni“ sollte sich dann genau zehn Jahre später erneut als schicksalsträchtiges Werk für ihn erweisen. Als Einspringer für den erkrankten Otto Klemperer leitete er eine konzertante Gala-Aufführung von Mozarts Oper mit Joan Sutherland und Elisabeth Schwarzkopf. Und machte seine Sache so gut, dass er neben hervorragenden Kritiken auch den Posten des musikalischen Leiters der Sadler‘ s Wells Opera erhielt. Nachdem er im Jahr darauf auch noch für Thomas Beecham „Die Zauberflöte“ in Glyndebourne übernahm, war sein Ruf als exzellenter Operndirigent besiegelt. Es zahlte sich für ihn zweifellos aus, als Klarinettist von Atmung, Phrasierung und Kantabilität einiges zu verstehen.
Bei allen Erfolgen auf dem Gebiet der Oper (Davis war ab 1971 auch 15 Jahre lang Musikchef des Königlichen Opernhauses Covent Garden) vernachlässigte er allerdings keineswegs das sinfonische Repertoire, arbeitete mit vielen namhaften Orchestern über einen längeren Zeitraum. Eines davon war das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das er zwischen 1983 und 1992 leitete. Ziemlich genau in der Mitte dieser Amtszeit unterschrieb er einen Exklusivvertrag mit RCA und begann mit den Münchnern eine rege Aufnahmetätigkeit für sein neues Label. Auf Brahms‘ zweite Sinfonie, mit der man im Dezember 1988 startete, folgten nicht nur die übrigen drei, sondern vor allem große Vokalwerke und Opern: die Requiem- Vertonungen von Mozart, Brahms und Verdi, die „Missa solemnis“, „Fidelio“, „Falstaff“, „Figaro“ und „Lohengrin“. Sie alle finden sich neben den Einspielungen mit Davis‘ anderen bevorzugten Orchestern seiner späten Jahre (Staatskapelle Dresden mit den Schubert- Sinfonien, London Symphony Orchestra mit dem hinreißenden Sibelius-Zyklus) in einer 51-CDs-Box zum absoluten Schleuderpreis, mit der Sony diesen unprätentiösen und beseelten Dirigenten knapp ein Jahr nach seinem Tod am 14. April 2013 ehrt. „Ein Musiker muss etwas zu sagen haben“, lautete sein Credo – hier bietet sich die ideale Gelegenheit, Sir Colin Davis zuzuhören.
Michael Blümke, 29.03.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2014
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