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N° 1354
20. - 30.04.2024

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am 27.04.2024



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Joseph Haydn zum 200. Todestag

Haydn privat

Beethoven war ein Miesepeter. Wagner war ein Ekel. Aber wer war Joseph Haydn? Nie hat er der Versuchung nachgegeben, die eigene Person in den Vordergrund zu rücken. Er gab sich so sehr als Rädchen seiner Zeit, dass ihm der Undank der Nachwelt gewiss war.

Wie war »Papa« persönlich? Joseph Haydn, der sich selbst »Papa« nannte und seiner eigenen Verharmlosung damit Vorschub leistete, schuftete fast 30 Jahre im Dienst der Fürsten Esterházy und brachte es trotzdem zu einer Weltkarriere. Schon zu Lebzeiten. Von da an ging’s teilweise bergab. Gern als Ein-Mann-Vorgruppe in Konzertprogrammen missbraucht, bei denen man auf Mozart oder Beethoven die meiste Probenarbeit verwendet, haftet Haydn bis heute der Ruch eines harmlosen, pantoffeligen und leicht spießen Perückenträgers an, dessen Musik nicht interpretiert, sondern nur gespielt werden müsse. Haydn privat war – tatsächlich – anscheinend unkompliziert und nett. Seine Schrullen und persönlichen Schnurren weisen ihn nicht als Exzentriker aus. Dennoch war Haydn, von einem emanzipierten Standpunkt aus betrachtet, ein reichlich unergründbares Faszinosum.
Durch Blatternarben im Gesicht weit mehr entstellt als zeitgenössische Gemälde dies verraten, blieb Haydn ein »Damenmann« und Frauenliebhaber. Seine zwei berühmtesten Geliebten, Luigia Polzelli und Rebecca Schröter, besaß er neben der Ehe. Luigia und er gestanden sich ein, auf das Hinscheiden des jeweils ungeliebten Gatten zu warten. Seine Ehefrau Maria Anna hatte er nur geheiratet, weil deren favorisierte jüngere Schwester Therese im Kloster vor ihm in Sicherheit gebracht worden war. Seinem Biografen Albert Christoph Dies hat Haydn offen bekannt, »dass er schöne Weiber gern gesehen hätte, doch konnte er nicht begreifen, woher es komme, dass er in seinem Leben von so manchem schönen Weib (wieder)geliebt worden sei?« Es mag damit zusammenhängen, dass Haydn noch in seinen persönlichen Camouflagen stets ein großes Maß an Aufgeschlossenheit und Liebenswürdigkeit behielt, die viele Frauen schätzen. Sein ihm selbst wichtigstes Werk, die »Kaiserhymne« (heute das »Deutschlandlied«), spielte er täglich mindestens ein Mal am Hammerklavier. Ein heiliges Ritual. Dennoch war Haydn ironisch genug, dieselbe, von ihm hoch geschätzte Melodie, seinem Papagei beizubringen, auf dass dieser sie zahlreichen Besuchern entgegenkrächzte. In seinem schier unüberschaubaren OEuvre (126 Trios, 104 Sinfonien, 83 Streichquartette, 24 Opern etc.) hat er nicht der Versuchung nachgegeben, sich selbst in den Vordergrund zu rücken, einen subjektiven Personalstil auszubilden. Er schrieb im Dienste einer – von ihm selbst entwickelten – musikalischen Universalsprache, die von allen – Frauen und Männern – verstanden werden sollte. Mit deren Grenzen spielte und kokettierte er wiederum, was den Ursprung des Haydnwitzes ausmacht. Wenn dieser Witz rational unerklärbar ist, so liegt das gewiss auch daran, dass Haydn nicht mit dem Kopf, sondern gleichsam mit dem Bauch komponierte.
Wer Haydns Wohnhaus in der Nähe der heutigen Mariahilferstraße in Wien besucht (wo er »Die Schöpfung« und »Die Jahreszeiten« schrieb und das er sich durch seinen Erfolg leisten konnte), staunt über die Raumverteilung. Nur eine winzige Abseite war dem Komponieren und Schlafen des berühmtesten Tonsetzers seiner Zeit vorbehalten. Sechs Siebtel der Wohnräume reservierte Haydn seinen Besuchern und Schülern zum Aufenthalt. Haydn, der 1780 der Wiener Freimaurerloge »Zur Wahren Eintracht« beigetreten war, als Englandtourist nach Windsor und Ascot reiste und die Attraktion auf diversen Londoner Bällen war, blieb ein uneitler (wenn auch geschäftstüchtiger) Bürger. Beethoven half er. Mozart verehrte und betrauerte er und nannte ihn selbstlos einen »unersetzlichen Mann«. Haydn gab sich dermaßen als Rädchen seiner Zeit, dass ihm der Undank der Welt gewiss war.
Bereits 1810, wenige Monate nach seinem Tod im Alter von 77 Jahren, fixierte E. T. A. Hoffmann Haydns ganzes Potenzial der Harmlosigkeit: »Ein Leben voll Liebe, voll Seligkeit, wie vor der Sünde, in ewiger Jugend« schien ihm aus Haydns Werken zu sprechen. Der Fluch des Höflichen hatte sich erfüllt. 1841 erklärte Robert Schumann über Haydn als Komponisten: »… man kann nichts Neues mehr von ihm erfahren.« Ist es bei dieser Einstellung nicht auch geblieben? Haydn ist der Beweis dafür, dass man mit sanguinischem Lebenswandel, verbürgter Freundlichkeit und einer positiven Weltanschauung in der Musikgeschichte nicht weit kommt. »Der rührige, nette, zum Küssen liebenswürdige Großpapa« nannte ihn Eduard Hanslick 1870. Wer sich Papa nennen lässt, muss als Opa enden.

Ingrid Schmeller, 29.03.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2009



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