home

N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Rolando Villazón

Nachdenklichere Töne

Die französische Dirigentin Emmanuelle Haïm brachte den mexikanischen Tenor auf die Spur der Barockmusik. Und er bewältigte seinen Part mit erstaunlichem Stilbewusstsein und dramatischem Talent. Nach viel Belcanto und Verismo kehrt Villazón nun mit Georg Friedrich Händel in die Barockzeit zurück. Über die Stimmkrise und den Händelgesang unterhielt sich mit ihm Robert Fraunholzer.

RONDO: Herr Villazón, in New York mussten Sie kürzlich erneut mehrere Aufführungen absagen, sodass es wieder Gerüchte über eine mögliche Stimmkrise gibt. Glauben Sie, dass Sie eine längere Pause brauchen?

Rolando Villazón: Auf keinen Fall. Während der Aufführungen der »Lucia di Lammermoor« an der New Yorker Met war ich krank. Das kann jedem Sänger einmal passieren. Wenn ich, vor allem bei einer Radio- und Kinoübertragung, nicht 100 Prozent geben kann, sage ich die Vorstellung lieber ab. Nur machen alle dann gleich eine große Geschichte daraus. Ich habe jetzt ein ganzes Jahr lang durchgesungen und finde, dass ich dabei einiges geleistet habe.

RONDO: Seit Längerem haben Sie in fast keiner Aufführungsserie alle Vorstellungen gesungen.

Villazón: Ich habe im letzten Jahr über 50 Vorstellungen und Konzerte gesungen, inklusive einer Serie von »Roméo et Juliette« bei den Salzburger Festspielen. Ich habe, glaube ich, insgesamt drei Vorstellungen abgesagt, weil ich krank war. Das ist im internationalen Opernbetrieb eine ziemlich gute Quote.

RONDO: Man sagt Ihnen Probleme im dynamischen Bereich nach. Sie kommen nicht mehr auf dieselbe Lautstärke wie früher?

Villazón: Unsinn! Ich singe so gut ich kann und so, wie ich es für richtig halte. Lautstärke ist für mich, genau wie für die meisten Menschen, übrigens nicht das Maß aller Dinge. Wem ich zu leise singe, der soll doch zu Wagnersängern gehen.

RONDO: Bräuchte man heutzutage eine »Stimmpolizei«, die Sängern zur Vorsicht rät?

Villazón: Nein, der Sänger selbst muss die Kontrolle über seine Stimme und über seinen Kalender haben – und beides koordinieren. Natürlich braucht man Leute um sich herum. Weil sich jede Müdigkeit und jede Schwäche, die man fühlt, im Klang der Stimme niederschlägt, und das können Außenstehende »überwachen«. Bei mir übt meine Frau diese Funktion aus. Auch meinem Management muss ich vertrauen können. Außerdem gibt es einen katalanischen Freund, der mich sehr gut kennt und mich beraten kann. Auch Toni Pappano oder Plácido Domingo geben mir Ratschläge.

RONDO: Wer entscheidet darüber, welche Rollen gut für Sie sind?

Villazón: Ich ganz allein. Auch wenn sich diese Entscheidungen mit den Jahren immer wieder verändern. Wissen Sie, fünf Jahre im Voraus zu planen – so wie das bei Opernhäusern üblich ist –, das ist für Sänger total absurd. Wie kann ich wissen, was ich in fünf Jahren gut singen werde? Dieses Problem wird immer schlimmer. Denn kleinere Theater fragen inzwischen früher als die großen, um überhaupt noch eine Chance zu haben. Das heizt den Laden immer weiter an.

RONDO: Ist Ihr neues Händelalbum ein Zeichen dafür, dass Sie kürzertreten wollen?

Villazón: Nein, mir ging es darum, für mich als Sänger etwas Neues zu entdecken und damit ganz neu »fliegen« zu lernen. Barock fasziniert mich, seit ich im Jahr 2000 Cecilia Bartoli mit ihrem Vivaldialbum hörte. Ich war sofort gefangen. Später gehörte meine Arbeit an Monteverdis »Combattimento « mit Emmanuelle Haïm zu den schönsten Erfahrungen, die ich überhaupt in meinem Beruf gemacht habe. Sehr inspirierend. Da geht es nämlich nicht nur um vokale Feuerwerke.

RONDO: Was haben Sie gegen Feuerwerk?

Villazón: Gar nichts. Aber viele Leute heute nehmen die Oper wie eine Art Sport wahr. Immer höher, immer schneller, immer schwerer. Darüber wird dann die eigentliche Kunst gern vergessen.

RONDO: Worin bestehen die Schwierigkeiten bei Händel?

Villazón: Wenn man annimmt, dass Musik eine Welle ist, dann surfen wir Sänger im Allgemeinen oben drauf. Bei der Barockmusik ist das anders. Da bin ich irgendwie Teil der Welle. Ich fühle mich mittendrin. Das liebe ich ungemein, weil ich mich so sehr da hineinstürzen kann. Ich habe sechs Monate lang intensiv daran gearbeitet. Einige werden immer noch sagen, meine Stimme sei zu klangreich dafür. Aber ich habe etliche Barockmusiker getroffen, denen es gefallen hat. Am ersten Morgen, ich gestehe es, war ich mit den Ergebnissen allerdings selbst nicht glücklich.

RONDO: Warum?

Villazón: Ich fand es furchtbar. Das Ganze klang wie Puccini. Das hat den Morgen über angedauert. Wir haben weiterprobiert – und plötzlich war es da. Ich werde immer ein Fremder in diesem Repertoire bleiben. Aber das Heroische, das mich zuerst an meinem Ansatz störte, ist jetzt fast weg. Es ist jetzt mehr Weichheit drin. So muss es sein.

RONDO: Sie haben die sportliche Einstellung gegenüber der Musik kritisiert. Aber eigentlich ist Ihre eigene Einstellung dieselbe, oder?

Villazón: Ja, das stimmt. Und ich würde mich grundsätzlich niemals ausnehmen von dem, was ich kritisiere. Allerdings habe ich viel daran gearbeitet, die Musik nicht als Sport zu betrachten, sondern als Kunst. Natürlich, es gibt Höhepunkte, auf die man mit Hochspannung wartet – auch das hohe C kann ein solcher Moment sein. Allerdings ist ein hoher Ton mitnichten wichtiger als die ganzen anderen Töne, die man zu singen hat, im Gegenteil: Jede Note, jede Phrase, jede Dynamik ist Teil des Ganzen und Aufgabe und Zweck dieses Ganzen ist es, die Emotionen zum Leben zu erwecken.

RONDO: Entwickelt sich in einer Tenorkarriere Ihres Kalibers ein Druck, immer neue Rollen zu lernen – anstatt eine Weile bei den alten zu bleiben?

Villazón: Es gibt keinen Druck, außer den inneren, den man sich selbst macht. Ich kenne keine Universalregeln, was man tun sollte oder was nicht.

RONDO: Entschleunigen Sie doch Ihre Karriere.

Villazón: Das tue ich auch. Indem ich mein Repertoire eingrenze und die Anzahl der Vorstellungen reduziere. Und indem ich weniger Interviews gebe. Die Anstrengung, die vom Sprechen ausgeht, wird unterschätzt!

Neu erschienen:

Händel

Arien

Rolando Villazón, Gabrieli Players, Paul McCreesh

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Rolando der Draufgänger

Hätte man Villazóns Krise ahnen können? Der heute (neben Juan Diego Flórez) wichtigste Tenor der Gegenwart hat in seiner Karriere schon viele Vorstellungen abgesagt. Aber noch nie eine Premiere! Als ich den Tenor erstmals hörte – in Verdis »La traviata « in Paris im Jahr 2002 (an der Seite von Cristina Gallardo-Domas) –, da besaß er noch nicht die überschäumend draufgängerische Art, die seither sein Markenzeichen geworden ist. Villazón war ein stimmschöner, eleganter, aber auch leicht blässlicher Kavalierstenor, der sich seitdem – durch Emphase und stürmisches Temperament – stark entwickelt hat.
Der 1972 in Mexiko-Stadt geborene Enkel österreichischer Einwanderer begann, als er elf Jahre alt war, mit Unterricht in Musik, Schauspiel, Ballett und Modern Dance. Ab 1990 nahm er Gesangsunterricht bei Arturo Nieto, der ihn für die Oper entflammte. 1997 wurde er von einem Agenten der CAMI entdeckt, der wegen Ramón Vargas nach Mexico-Stadt gekommen war. Er ermutigte Villazón weiterzustudieren und nahm ihn kurz danach, mit 25 Jahren, unter Vertrag. In San Francisco und Pittsburgh absolvierte Villazón Ausbildungsprogramme und Meisterkurse unter anderem bei Joan Sutherland. 1999 belegte er bei Plácido Domingos »Operalia«-Wettbewerb den zweiten Platz (neben Giuseppe Filianoti und Joseph Calleja). Im selben Jahr feierte er in Genua sein umjubeltes Europadebüt in Massenets »Manon«.
Alles hatte langsam angefangen. Und war dann gleichsam explodiert. Im Jahr 2005 wurde Villazón durch die Salzburger »Traviata« an der Seite von Anna Netrebko schlagartig weltberühmt. Im Februar 2007 begann eine Serie von Absagen, die in eine mehrmonatige Auftrittspause mündete. Mit dem Album »Cielo e mar«, vor der Krise aufgenommen, meldete er sich zurück. Villazón spricht dank des Besuchs einer deutschen Privatschule in Mexiko-Stadt gut Deutsch und hat vielleicht nicht zufällig an der Berliner Staatsoper bei Daniel Barenboim eine Art künstlerische Heimat gefunden. Der Tenor lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Neuilly-sur-Seine bei Paris.

Robert Fraunholzer, 05.04.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2009



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Volt & Vinyl

Volt & Vinyl

Ein Wikinger in Oer-Erkenschwick

Sein bürgerlicher Name war Thomas Hardin. Doch schon zu Lebzeiten erlangte der Amerikaner als […]
zum Artikel

Pasticcio

Backgroundmusik schadet der Produktivität!

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Soll man Musik bei der Arbeit hören oder nicht? Die einen sagen, sie können nicht ohne. Die […]
zum Artikel

Pasticcio

Mehr noch als ein „Dorado für Uraufführungen“

Christian Thielemann muss sich einfach in Dresden pudelwohl fühlen. Hier sind schließlich der […]
zum Artikel


Abo

Top