home

N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Branford Marsalis

Sympathie für den Rassisten

Weltberühmt wurde Branford Marsalis als Saxofonist von Sting. Mit der Gründung seines eigenen Labels ist er wieder zum echten Jazz zurückgekehrt, wovon auch seine neue CD kraftvoll kündet. Josef Engels sprach mit dem 48-Jährigen über Bruder Wynton, Wagner und Esbjörn Svensson.

RONDO: Sie haben gerade vor dem Interview noch geübt. Sind Sie so ein Perfektionist?

Branford Marsalis: Nein, ich habe demnächst einen Auftritt mit einem Sinfonieorchester. Und das unterscheidet klassische Musik vom Rest: Du musst üben! Die technischen Voraussetzungen sind woanders viel niedriger.

RONDO: Auch im Jazz?

Marsalis: Natürlich! Aber das ist ja auch das Schöne an dieser Musik, dass man eine persönliche Aussage machen kann, ohne über diese Technik zu verfügen.

RONDO: Warum trägt Ihr Album den deutschen Titel »Metamorphosen«?

Marsalis: Das englische Wort – »metamorphosis« – bringt bei mir nichts zum Klingen. Es ist im Englischen auch nichts anderes als ein rein wissenschaftlicher Ausdruck. Anders im Deutschen: »Metamorphosen« kann meinen, was mit der Raupe im Kokon geschieht. Es kann aber auch eine spirituelle oder intellektuelle Verwandlung beschreiben. »Transition« wäre der englische Ausdruck, der am besten zur Musik meiner Band passen würde – aber John Coltrane hat bereits eine Platte mit diesem Titel aufgenommen. Das rühre ich natürlich nicht an!

RONDO: Apropos deutsche Kultur: Sie sind ein großer Fan von Richard Wagner, nicht?

Marsalis: Er ist fantastisch!

RONDO: Aber er hatte, nun ja, auch seine dunklen Seiten …

Marsalis: Es gibt sehr viele nette Menschen, die keine Rassisten sind – und völlig unmusikalisch. Soll ich mir die anhören? Nein. Dann nehme ich lieber den Rassisten. Er ist tot, Mann. Der kann mir nichts mehr antun. Als ich in der Talkshow von Jay Leno angestellt war, habe ich mir jeden Tag, zwei Jahre lang, die »Walküre« angehört. Wenn man irgendwo ist, wo Musik so unwichtig erscheint, braucht man das.

RONDO: Was hat Ihr Bruder Wynton zu Ihren Pop-Eskapaden gesagt?

Marsalis: Wynton mochte die Idee überhaupt nicht, dass ich mit Sting spiele. Seine Einstellung war: Diesen Job kann jeder machen, Jazz braucht mich mehr als die Popmusik. Letztendlich sollte Wynton Recht behalten, aber ich denke, kein anderer Saxofonist konnte die Sting-Sachen so spielen wie ich.

RONDO: Was halten Sie vom europäischen Jazz?

Marsalis: Für mich gibt es keinen europäischen Jazz, sondern nur Jazz.

RONDO: Sie waren nicht begeistert, als das Magazin »Downbeat« das Esbjörn Svensson Trio auf seinen Titel nahm. Was meinen Sie heute?

Marsalis: Ich sage nichts mehr dazu. Nur das: Das Esbjörn Svensson Trio hat mal ein Album mit Thelonious-Monk-Stücken aufgenommen. Das sollte man mit dem Original vergleichen. Dann weiß man alles. Es tut mir aber sehr leid, dass Esbjörn Svensson gestorben ist. Mann, bei einem Tauchunfall verunglückt – ich weiß genau, warum ich so einen Mist nicht mache. Wenn man Familie hat, lässt man die Finger von Tauchen, Paragliding und solchen Sachen!

Neu erschienen:

Metamorphosen

Branford Marsalis Quartet

Marsalis Music/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Josef Engels, 05.04.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2009



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Vom Himmel geschickt

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Sein Name tauchte nie auf den Programmen einschlägiger Neue Musik-Festivals auf. Trotzdem hat Arvo […]
zum Artikel

Boulevard

Die „Könige“ singen Disney-Lieder

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit

Bunte […]
zum Artikel

Gefragt

Xavier Sabata

Selbstreflexion

Schubert, von einem Countertenor gesungen. Für manche ungewöhnlich. Für den Katalanen essenziell […]
zum Artikel


Abo

Top