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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Wynton Marsalis

Gralshüter ohne Komplexe

Im Oktober wurde er fünfzig, und nun ist er seit 25 Jahren künstlerischer Leiter von New Yorks »Jazz At Lincoln Center«. Ein Rückblick von Thomas Fitterling.

Welch eine Familie: Vater Ellis ist in New Orleans ein hoch geachteter Pianist und einflussreicher Lehrer, und vier von Wyntons Brüder sind namhafte Musiker. Mit zwölf erhält er Trompetenunterricht, spielt dann in der Kirche, tritt mit Jazz und Pop Bands, aber eben auch mit sinfonischen Klangkörpern auf. Er studiert am Tanglewood’s Berkshire Music Center und dann an der Juilliard School in New York. Dort wird ihm der schwarze Jazzkritiker Stanley Crouch zum Freund und Mentor. Der hat sich kurz zuvor von der Avantgarde-Szene abgewandt und sich zu einem streitbaren Verteidiger der Tradition gewandelt. Bereits 1980 ist sein Schützling die Sensation der Art Blakey’s Jazz Messengers. Ein Jahr später wird er weltweit als Trompeter mit Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams bejubelt. Im gleichen Jahr gibt er auf Columbia sein Debüt u.a. mit dieser legendären Miles-Davis-Rhythmusgruppe.
Mit dem erfolgreichen und strahlenden Virtuosen Wynton Marsalis hat die als Young Lions virulente Gruppe der Neotraditionalisten ihr Rollenmodell und in Stanley Crouch ihren Theoretiker. 1983 und 1984 erhält Marsalis jeweils zwei Grammys, einen in der Kategorie Jazz und einen in der Kategorie Klassik für seine Zusammenarbeit mit Raymond Leppard. 1987 wird er Leiter des neuen Projekts »Jazz At Lincoln Center«. Mit ihm ist damit der Jazz in der Hochkultur angekommen. Geschickt macht Marsalis das Projekt zu einem Erfolg. Er hat ein eigenes Orchester und seit 1994 mit der Frederick P. Rose Hall sogar ein hochmodernes Konzerthaus zur Verfügung. Unermüdlich setzt er sich für Musikerziehung und Förderung junger Musiker ein und realisiert dabei immer noch eigene Projekte. Stets geht es ihm darum, einen verbindlichen Kanon der Jazztradition zu erarbeiten und zu etablieren.
Doch seine Deutungshoheit über den Jazz, die Avantgarde und Fusion ausschließt, steht in der Kritik. Marsalis und Mentor Crouch verteidigen streitlustig ihren Kanon. Die Angegriffenen fühlen sich diskriminiert und wehren sich. Es kommt zu einem erbitterten Streit in der Jazz Community. Prominente Marsalis-Gegner sind Lester Bowie und Miles Davis.
Im 21. Jahrhundert haben sich die Wogen weitgehend beruhigt, mittlerweile sind sogar einst verfemte Musiker in Marsalis’ heiligen Tempeln aufgetreten. Auch seine Kritiker räumen ein, dass es ihm gelungen sei, mit seinen musikalischen und medialen Aktivitäten die Bekanntheit des Jazz ganz erheblich gemehrt zu haben. Für Maurice André ist er ohnehin »möglicherweise der größte Trompeter aller Zeiten«.

Swingin’ Into The 21st

Wynton Marsalis, Lincoln Center Jazz Orchestra u.a.

Sony

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Thomas Fitterling, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2012



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