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Würdevoll beugen sich die beiden Damen über den Stapel Noten, der vor ihnen auf dem Flügel liegt. Seelenruhig suchen Soile Isokoski und ihre Klavierbegleiterin Marita Viitasalo das Passende heraus, verständigen sich mit ein paar kurzen Worten, als ob um sie herum nicht ein paar Hundert wildfremde Zuhörer säßen, sondern lediglich eine Handvoll guter Freunde. Und schon ist sie da, die Intimität und Nähe, die die zerbrechliche Kunst des Liedgesangs so nötig braucht, die Ruhe, in der ein Stück wie Schuberts »Nacht und Träume« erst seine samtenen Schwingen entfalten kann. Es dürfte derzeit kaum eine andere Sängerin geben, die einen Liederabend mit so selbstverständlicher Souveränität gestaltet wie die finnische Sopranistin – einmal, weil Isokoski diese Kammerkunst in den letzten Jahren unermüdlich perfektioniert hat und zum anderen, weil sie sich hier, bei Schubert und Grieg, bei Hugo Wolf und Hindemiths wunderbarem
»Marienleben«, seit jeher zu Hause fühlt. So sehr, dass sie zu Beginn ihrer Karriere, nach dem Erfolg beim »Singer of the World«-Contest in Cardiff 1987 und nach dem Gewinn des Elly-Ameling-Wettbewerbs, verkündet hatte, aus ihr würde nie eine Opernsängerin werden.
»Das kam sicher auch daher, dass ich im Schatten der Kirche groß geworden bin«, erzählt sie, »mein Vater war lutherischer Pastor und vor Beginn meiner Karriere habe ich sogar als Kirchenmusikerin gearbeitet. Von dort war der Weg zur Oper natürlich weit.« Zum Glück fand Soile Isokoski diesen Weg dennoch: Inzwischen ist aus der Opernskeptikerin eine leidenschaftliche Sängerdarstellerin geworden, die sich sogar auf die Elsa im »Lohengrin« eingelassen hat. Zu Beginn ihrer Karriere sei sie fast nur für Mozart angefragt worden, sagt Isokoski, »erst Ioan Holender an der Staatsoper hat mich aus dieser Ecke herausgeholt und mir auch dramatischere Partien anvertraut«. Es war wohl die Erfahrung dieser romantischen Rollen, die Soile Isokoski endgültig zur Opernsängerin machten: Sie stürbe nun mal gern, gibt sie zu, die zarten Frauen mit den traurigen Schicksalen und großen Sehnsüchten wie Puccinis Liu und Verdis Desdemona seien ihre Leidenschaft. Die Wiener Staatsoper war lange ihr Beinahe-Stammhaus, über 160 Abende hat sie dort gesungen. Gerade hat man sie dort zur österreichischen Kammersängerin gemacht und tatsächlich passt der Titel auch zu dem Stilgefühl, mit dem Soile Isokoski ihre Rollen angeht: Das breite Vibrato und die Brusttöne russischer Sängerinnen seien nie ihre Art gewesen, erklärt sie entschieden, selbst Tschaikowskys Tatjana, die sie erst 2006 in ihr Repertoire aufnahm, singt sie mit dem schlanken, biegsamen Silberton eines jungen Mädchens, der an Sängerinnen wie Sena Jurinac und Lisa della Casa erinnert. Und wie die besteht sie darauf, dass eine Sängerin in der Lage sein müsse, Mozart und Wagner zu singen. Und Strauss natürlich, der auch am Ende ihres Abends im Berliner Kammermusiksaal steht. Strauss zu singen, sagt Isokoski, sei für sie wie zu Hause anzukommen. Man darf sich eingeladen fühlen.
Jörg Königsdorf, 19.04.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2008
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