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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



In Olivier Tambosis "Jenůfa"-Inszenierung für die Hamburger Staatsoper (hier in einer Gastaufführung am Gran Teatre del Liceu in Barcelona live mitgeschnitten) steht ein großer Felsblock im Zentrum der Bühne: Anfangs bricht er durch die Holzbohlen des Bühnenbodens, später liegt er, nun ganz hervorgetreten, wie ein großer, beklemmender Klotz mitten im Bild. Er symbolisiert das uneheliche Kind, das Jenůfa von Stewa erwartet, oder vielmehr die mit diesem Kind verbundenen düsteren Probleme, Komplexe, Vorurteile – die Schande. Auch in der Personenführung gelingt es Tambosi hervorragend, die Enge und Engstirnigkeit der ländlichen Atmosphäre, so wie sie in Janáčeks Oper angelegt ist, plastisch zum Vorschein zu bringen: Die Bier saufende, auftreiberische Dorfbevölkerung, die Stewa noch anfeuert, als er sich über Jenůfas berechtigte Vorwürfe lustig macht, die alte Buryjovka, die mit ihrem Stock missmutig auf dem Felsblock herumstochert, ja selbst Laca, der am Anfang mit seiner Stichelei noch lästig wie eine Schmeißfliege ist – all dies kommt mit großer Unmittelbarkeit zur Geltung.
Dazu korrespondierend gelingt es auch auf musikalischer Ebene weitgehend, Janáčeks seinerzeit revolutionäre Intentionen mit großer Eindringlichkeit umzusetzen: Alle Sänger lassen sich ganz in den Dienst einer möglichst klaren, authentischen Vermittlung des Textes stellen. Nina Stemme ist in der Titelpartie dieser Oper gut aufgehoben; ihr sattes Vibrato stört hier kaum, ihre stimmliche Robustheit und darstellerische Souveränität lassen sie die beträchtlichen Herausforderungen dieser Partie hervorragend bewältigen. Jorma Silvasti als Laca, obwohl am Ende stimmlich deutlich ermüdet, wartet mit ähnlicher Präsenz auf und wirkt sowohl in seiner anfänglichen Spott- und Stichelrolle wie auch bei seinem Wandel zum standhaft-verantwortungsbewussten Bräutigam sehr überzeugend. Eva Marton als Küsterin – nun ja: Zwar ist diese Rolle seit jeher wohl eine Partie für das Karriereende, aber Martons stimmliche Ausgeschlagenheit ist doch mehr als grenzwertig. Insgesamt eine auf allen Ebenen fesselnde Darbietung, die unter die Haut geht.

Michael Wersin, 01.12.2007


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