Teldec/Warner Classics 8573-87009-2
(2/2001, 4/2001) 1 CD
Fazil Say möchte Tschaikowskis b-Moll-Konzert als unsentimental-forsche Prokofjew-Vision hören. Doch es fehlen ihm die Mittel für einen solchen Gegenentwurf. Der etwas bombastische, in der Durchführung zur Statik neigende Perkussions-Stil, den Say im ersten Satz kultiviert, lässt nicht nur das Seitethema verholzen, er führt im Mittelteil des Andantinos zu etwas sehr forciert trommelnder Motorik. Aber Say hat keine Reserven, um diese Figuren mit souveräner, elastischer Grazie abzufeuern. Die Doppeloktaven sind auf Konzertexamensniveau, der unpolierte Klang ist es keineswegs.
Er tut mir aber auch leid mit diesem Orchester, das mit einer fast schon wieder hörenswerten Lustlosigkeit agiert. Flöte und Cello konkurrieren um den Pokal des uninspiriertesten Solos. Und dauernd seltsam knisternde Nebengeräusche - spielt man Skat im Blech? Genug. Es ist Stadttheaterniveau am Ende einer langen Tournee.
Die Liszt-Sonate beginnt Say recht ungestüm. Dieses fast sorglose Stürmen nimmt uns eine Weile für ihn ein, bis man merkt, dass er die entfesselten Kräfte nicht völlig kontrolliert. Drei tödlichen Gefahren erliegt diese h-Moll-Sonate. Say kommt immer zu früh. Unter selbstauferlegtem Überdruck hält er die punktierten Halben nie aus. Auch jedes Crescendo kommt zu früh. Und laut ist laut. Wie sich das Grandioso-Thema über viele Takte langsam zum dreifachen Forte erhebt, kann er nicht darstellen, weil er den Unterschied von f zu fff nirgends hörbar macht.
Unkontrolliertes Lärmen und angefressene Zählzeiten mögen wir als expressive Kollateralschäden eines Scheiterns an der eigenen Vision hinnehmen. Bis der Faden in der Cantando-espressivo-Episode kurz vor der Stretta reißt. Da stolpert Say überhastet, als gerate er in den Angst-Sog der Doppeloktav-Katarakte. Die Angst ist berechtigt. Und als belohne er sich für ihre gemächliche Bewältigung mit einer provozierenden Extravaganza, desynchronisiert Say den abschließenden Doppeloktavgang. Das ist dann allerdings eine fast schockierende Geschmacklosigkeit. Der Kontrollverlust hat das finale Stadium erreicht.
Matthias Kornemann, 29.11.2001
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