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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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The Chronological Dizzy Gillespie 1953

Dizzy Gillespie

Classics/Fenn Music 1380
(75 Min., 2/1953 – 12/1953) 1 CD

Die für die Major Labels sicherlich betrübliche Tatsache, dass Jazz-Aufnahmen 50 Jahre nach Ihrer Entstehung von anderen Firmen ohne größere rechtliche Probleme übernommen haben, bringt manches kleine Label auf gute Ideen. Schon seit vielen Jahren bereichert uns das Label Classics Records mit chronologischen Werkausgaben fast aller Großen des Jazz – ein "work in progress", das immer etwa 50 Jahre hinter der Gegenwart herhinkt und als Grundstock einer Jazzplattensammlung bestens geeignet ist. Das Ziel ist relative Vollständigkeit der so genannten "master takes", die der betreffende Künstler als Bandleader aufgenommen hat. Ein Nachteil der sturen Chronologie liegt auf der Hand: Aufnahmen ein oder derselben Session und, damit zusammenhängend, Stücke, die früher gemeinsam auf einem Originalalbum zusammen erklangen, werden oft zwischen zwei CDs erbarmungslos auseinander gerissen. Aufgewogen wird dies durch eine Fülle von Vorteilen: Aufnahmen verschiedener Firmen können im chronologischen Kontext gemeinsam berücksichtigt werden. Der musikalische Entwicklungsweg eines Musikers kann (inklusive der Irrungen und Wirrungen in später oft ausgeblendeten Seitenpfaden) endlich lückenlos nachvollzogen werden.
Betrachtet man etwa das Jahr 1953 in der Retrospektive so einer Chronologie, dann erscheint es bei Dizzy Gillespie deutlich als große diskografische Trendwende, deren eigentlicher Scheitelpunkt, die Live-Aufnahmen vom Mai aus der Torontoer Massey Hall allerdings fehlen, weil sie vermutlich in eine Charlie-Parker-Classics-CD eingehen wird. Im Laufe der 40er Jahre hatte Dizzy Gillespie den Bebop als Combo-Musik mit aus der Taufe gehoben, mit seiner Bigband, dessen großorchestrales Pendant geschaffen und schließlich entscheidend zur Verschmelzung von kubanischer Musik und Jazz im so genannten Cubop beigetragen. Die frühen 50er Jahre kann man dahingegen - trotz nach wie vor rein trompeterisch beeindruckenden Leistungen - als Talsohle betrachten, als Versuch eines Avantgardisten mit eigener Plattenfirma, der dank seines Talents für Clownerie, so viel Breitenwirkung erzielen wollte wie nur möglich. "Ich hatte genug davon, nur Jazzgeschichte zu schreiben. Ich wollte mir ab und zu ein warmes Mittagessen gönnen", erklärte Gillespie später diese Periode.
Zu Beginn des Jahres 1953 gibt es noch genug von diesem Fishing for Mittagessen, von den Dixie-Ankängen in "Wonderful" und Joe Carrolls Novelty-Gesang in "Oo-Bal-Dee" bis zu einem ganzen Schwung Pariser Aufnahmen (mit Titeln wie "Stormy Weather" und "Jalousie") von "Dizzy Gillespie and his Operatic String Orchestra" – ein Ensemble, das schon in der Bezeichnung einen gewissen Anflug von Ironie nicht verbirgt, aber auch nicht das Niveau von Freund Parkers "kommerziellen" Aufnahmen mit Streichern erreicht. Und doch: Es sind trompeterische Perlen darunter wie "Fine And Dandy". Im Laufe des Jahres unterschreibt er aber einen Vertrag für Norman Granz. Die erste Frucht davon ist das auf dem Label Norgran (später unter dem Namen Verve bekannt) erschienene Album "Diz and Getz". Hier wird endlich wieder auf allerhöchstem Niveau kompromisslos gejazzt und so sollte es dann auch bleiben. Dizzy Gillespie und Cool-Ikone Stan Getz, begleitet vom Oscar Peterson Trio mit Ray Brown und Herb Ellis sowie dem Bebop-Drummer Max Roach – das ist auch so etwas wie die Geburtsstunde von Dizzy Gillespie als Helden dessen, was man in den 50er Jahren als Mainstream bezeichnete und bei Verve seine Heimstatt fand: Es war eine Musik jenseits des Bebop-Ghettos, die durch Kommunikation zwischen verschiedenen Musikgenerationen zu einem goldenen Mittelweg zwischen Swing, Bop und Cool Jazz fand, und damit auch wieder ohne Niveauverlust zu einer (kleinen) Breitenwirkung fand, die ohne Aufgabe künstlerischer Integrität möglich war.
Bleibt nur nachzutragen, dass das legendäre Album "Diz and Getz" auch offiziell noch erhältlich ist (Verve 549749-2), mit einer zusätzlichen Aufnahme, die 1954 ohne Getz entstand, aber eben auch ohne jener Vorgeschichte, die den darin erbrachten Sprung ganz nachvollziehbar macht.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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