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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Nach der "Matthäus"-Passion (siehe Rezension) legt Herreweghe nun nach vierzehn Jahren eine Neueinspielung der "Johannes"-Passion vor, allerdings keine einfache Wiederholung, sondern die zweite Fassung aus dem Jahre 1725. Bach hat sie einer veränderten Solistenbesetzung und - vermutlich - manchem Zeigefinger seiner Leipziger Ratsoberen geschuldet, die ihren Thomaskantor ermahnten, keine „theatralischen" Kompositionen zu verfertigen.
Ob’s wirklich Schelte gab für die mitunter eminent „opernszenisch" gestaltete Erstfassung oder auch nicht: Bach strich deren von dramatischem Impetus gezeichneten Eröffnungschor „Herr, unser Herrscher" und ersetzte ihn durch den Chor „O Mensch, bewein dein Sünde groß" , der auch den ersten Teil der "Matthäus-Passion" beschließt. Und an die Stelle des anrührend schlichten Schlusschorals „Ach Herr, lass dein lieb Engelein" tritt nun der asketisch-düstere Chor „Christe, du Lamm Gottes". Diese chorischen Änderungen sind zu bedauern, nicht unbedingt jedoch die Arien-Anpassungen: der Wegfall der alten Tenor- bzw. Bass-Nummern 13, 19, 20 wird mindestens wettgemacht durch die neuen Arien (11, 13, 19).
Wie der Vergleich der Fassungen, so verlangt auch der Blick auf Herreweghes Aufnahmen ein Abwägen. Das „neue" Manko liegt bei Sibylla Rubens und (etwas weniger ausgeprägt) bei Sebastian Noack: ihre Expressivität ist trotz bilderreicher Arientexte eine allzu opulente, emotionsgeladene, vibratoreiche, subjektiv-manierierte. Da lobe ich mir die schlanke, unprätenziöse Geradlinigkeit Barbara Schlicks und die sonore Ernsthaftigkeit Peter Kooys in der alten Aufnahme von 1987.
Dass Expressivität auch ohne überbordende Subjektivität aufwühlen und betören kann, zeigen Mark Padmore, Andreas Scholl und Michael Volle (mit gewichtigen, gleichwohl pathosarmen Christus-Worten). Padmore verleiht seinem Evangelisten-Bericht nicht nur den nötigen dramatisch vorwärtsdrängenden Impuls, seine Tenor-Arie „Zerschmettert mich" ist auch ein Paradebeispiel musikalischer Rhetorik in ihrer mitreißendsten Gestalt. Das gilt auch für den fulminanten Mittelteil „Der Held aus Juda" aus der Alt-Arie „Es ist vollbracht", den Andreas Scholl mit makelloser, atemberaubender Virtuosität präsentiert. Scholls Timbre verschmilzt großartig mit dem warmen und doch klar fokussierten Ton der barocken Gambe und Oboe, sodass von einem Glücksfall barocker Gesangskultur gesprochen werden muss.
Vor allem aber ist den jetzigen Choristen und Instrumentalisten des Collegium Vocale eindeutig der Vorzug vor ihren Vorläufern (und den meisten gegenwärtigen Kollegen) zu geben. Der hell timbrierte Chorklang ist wunderbar geschmeidig und feingliedrig in den Chorälen. Die Sänger artikulieren bestens und sparen nicht mit drastischen Textauslegungen. Die Kultiviertheit ist also keine Hypersensibilität oder kalt-distanzierte Perfektion (wie etwa bei Koopman oder Suzuki). Überhaupt zeigt Herreweghe wieder, wie der hochkomplexen barocken Klangrede zu einem natürlichen Ausdruck verholfen werden kann - auf höchstem Niveau.

Christoph Braun, 01.09.2007


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