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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Tutu

Miles Davis

Warner Jazz Classics 7599 25490-9
(42 Min., 3/1986) 1 CD

Vor fünfzehn Jahren, als "Tutu" noch eine Novität war, hätte ich das Album vielleicht verrissen. Miles Davis, der sich mit Columbia überworfen hatte, legte als erstes Album für Warner ein funkiges Pop-Album vor (jetzt in der Reihe "Warner Jazz Classics" wiederveröffentlicht). Im Jazz ist es wichtig, dass alle Musiker aufeinander hören und spontan auf das, was sie hören, reagieren können. In der Pop-Musik spielt dies eine untergeordnete Rolle: Davis, der große Bandleader, ging nicht mit der ganzen Band ins Studio, sondern ließ jede Stimme einzeln aufnehmen. In seiner Autobiografie freut er sich noch darüber, wie viel leichter man heute Alben einspielen kann: Der Musiker, der zum Vorhandenen dazuspiele, höre dies ja. Davis übersieht aber, dass die bereits Aufgenommenen anders gespielt hätten, hätten sie auf den reagieren können, den sie nicht hören konnten.
Schlimmer fand ich vor fünfzehn Jahren, dass Davis, der einst Künstler wie Tony Williams als Sideman beherbergte, sich nun mit maschinellen Imitationen von Instrumenten abgab, für die er sicher fähige Musiker gefunden hätte. Programmierte Schlagzeug-Pattern, die schon mal wie Maschinengewehr-Salven klingen, ein (für die damalige Zeit sogar sehr gut programmierter) Synthesizer, der wie ein Saxofonist auf die Trompete „antwortet“. (Gott sei Dank gab es auf „Amandla“ dann den trefflichen Kenny Garrett.) Das wirkte auf mich etwas steril, manche Sounds sind heute sogar streckenweise unfreiwillig komisch wie ein Science-Fiction-Film aus der Zeit vor der Mondlandung.
Gottlob wirken auch Musiker mit, zum Beispiel George Duke, der Geiger Michal Urbaniak und, allen voran, Marcus Miller. Wenn man so will, ist „Tutu“, trotz der Gastauftritte einiger Solisten, ein Davis-Miller-Duo: Tausendsassa Miller ist als Bassklarinettist, Sopranist, Keyboarder, Gitarrist und als fantasievoller E-Bassist zu hören, der mit seinem begnadeten Daumen funky Funken schlagen, aber damit auch wie auf samtigen Katzenpfoten gehen kann. Als Komponist und Arrangeur raffiniert cooler Sätze, die so verflixt einfach wirken, als Mitspieler, Produzent und unversiegbare Inspirationsquelle schuf er den „Hintergrund“, vor der sich die gedämpfte Trompete des Miles Davis einsam-verhangen abhob.
Mit diesen Soundscapes prägte er das Bild des Achtziger-Jahre-Miles, wie Gil Evans den des Fünfziger-Jahre-Davis. Und Miller wusste genau so gut wie Evans, durch welches „orchestrale“ Gewand man Davis’ Stärken zur Geltung bringen kann. „Portia“ nimmt sogar in aktuellem Gewand die spanische Stimmung von „Sketches Of Spain“ auf.
Höre ich heute die Neuauflage von "Tutu", das sich seit damals kaum je auf dem Plattenteller drehte, so stelle ich fest, wie gut ich mich an viele Details erinnern kann. Ein mittelmäßiges Album hätte sich wohl kaum so in mein Gedächtnis gegraben. Miles Davis, der sich, in welcher zeittypischen Umgebung auch immer, selbst treu blieb, gestaltete auch auf "Tutu" beseelte Improvisationen. Und Miller kommt das Verdienst zu, seine Fantasie beflügelt zu haben.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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