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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Eine Oper namens „Jérusalem"? Von Verdi?! Opernführer: Fehlanzeige! Dabei war das 1847 uraufgeführte Werk fast vierzig Jahre lang erfolgreich, bevor es nahezu hundert Jahre von den Bühnen verschwand und erst in den letzten beiden Jahrzehnten zaghaft wiederbelebt wurde. Den Erfolg allerdings gab’s - der Accent aigu und das französische Libretto zeigen’s - nur an französischen Bühnen, besonders an der Pariser, für die Verdi das Werk schuf. Deshalb ignorierten es natürlich seine Landsleute. Mit „Jérusalem" zollte (auch) Verdi dem damaligen Paris-Fieber Tribut, bot die Stadt doch die besten Aufführungsbedingungen in ganz Europa. Allerdings schuf das noch junge Operngenie für die Gattung der Grande Opéra kein wirklich neues Werk, sondern unterzog „I Lombardi" einer weitgehenden Bearbeitung, die die Pariser Vorlieben befriedigte.
Die vieraktige Kreuzritter-Geschichte aus dem 11. Jahrhundert mit leidenschaftlicher Romeo-und-Julia- und inzestuöser Onkel-Nichte-Verwicklung, orientalischem Harems- und Kriegerdrama und umfassendem Liebes-, Reue- und Sieges-Happy-End -, sie hat Längen, und die Bühnendramaturgie vor allem des ersten Aktes hat manche Statik zu überwinden. Aber Verdi macht fast alles wett durch eine farbige, experimentierfreudige Orchesterbehandlung, glutvolle Arien und etliche effektvolle Ensembleszenen. Gerade bei den Ensembles wird dem Hörer viel geboten, vom jungfräulichen Orgelgebet in der Kirche über schmissige Soldatenchöre und Haremsgesänge bis zu eingängigen Volkshymnen. (Die obligatorische, gut zwanzigminütige Ballettmusik darf natürlich auch nicht fehlen). Schon allein die vollständig neu geschaffene, wirkungsvoll sich steigernde Schlussszene des dritten Aktes sollte das Werk verstärkt wieder auf unsere Bühnen hieven.
Dazu trägt in Fabio Luisis Ersteinspielung des Gesamtwerkes vor allem die empfindsame, gleichwohl zu leidenschaftlichem Feuer fähige Marina Mescheriakova als Hélène bei. Weniger schlüssig gibt dagegen Marcello Giordani ihren Geliebten Gaston: Man nimmt seinem Tenor wohl den Leidensvollen, kaum jedoch den aufbegehrenden Krieger ab. Roger, Hélènes Onkel wiederum, der das ganze Unheil anrichtet, hat in Roberto Scandiuzzi einen Protagonisten, der mit seinem starken Tremolo den reuigen Eremiten weitaus glaubwürdiger darstellt als den bassgewaltigen Bösewicht. Die Massenszenen sind dagegen beim Genfer Theaterchor in besten Kehlen. Das Vorzeigeorchester der Westschweiz hat Fabio Luisi mit viel Liebe fürs Detail und Verdi-Erfahrung, wenn auch nicht mit letzter Hingabe einstudiert. Gleichwohl: Philips’ verdienstvolle Reihe des noch zu entdeckenden Verdi hat beredten Zuwachs bekommen.

Christoph Braun, 01.09.2007


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