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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Jeder "Aida"-Interpret, der nicht nur Touristenbusladungen am Sonntagnachmittag befriedigen will, sieht sich vor das Problem gestellt, das lyrische Innenleben der Hauptfiguren mit dem Bombastisch-Triumphalen der Massenszenen in Einklang zu bringen. Dass Harnoncourt dieses Problem großartig gelöst hat, zeigt diese Plattenaufnahme aus dem Wiener Musikvereinssaal mit dessen fabelhaften Hausherren.
Die Feinarbeit des Orchesters, mit der hier Verdis über weite Strecken geradezu kammermusikalische Partitur durchleuchtet wird, sucht ihresgleichen. Die typisch Harnoncourtsche Sorgfalt ist jeder Klarinettenkantilene anzuhören; selbst in den lautstarken Massenszenarien vernimmt man bislang unerhörte Nebenstimmen, etwa ein plötzlich auf- und abtauchendes Horn oder das tiefe Blech in wunderbarer Sonorität. Die "Schlager" werden nicht heruntergespult, sondern auf verborgene Finessen abgeklopft - man sollte den Triumphmarsch samt Ballett nurmehr in dieser luziden Einspielung hören, denn nur so können diese allzu gequälten Mitgröl-Schlager zeigen, welch raffinierte Klangeffekte und rhythmische Feinheiten sie aufweisen.
Auf der anderen Seite lässt es Harnoncourt auch herrlich schmettern und knallen, wobei er - ganz der alte Originalklangkämpfer - Verdis extra für die "Aida" verfertigen, von satt-bronzenem Klang geprägten Trompeten hat nachbauen lassen.
Unter den Bühnenprotagonisten dürfen sich die beiden Rivalinnen Aida und Amneris einen wirklich glänzenden Lorbeerkranz teilen. Cristina Gallardo-Domas' Sopran besitzt zwar nicht das Stimmvolumen, dafür aber die Inbrunst der Callas-Aida; die fast von Beginn an sterbenswillige, im unlösbaren Konflikt zwischen Liebe und versklavtem Nationalstolz zerrissene Titelheldin dürfte zu einer Glanzrolle der gebürtigen Chilenin werden und in dieser eine der wenigen durchweg überzeugenden Verkörperungen unserer Tage gefunden haben. Das gilt auch für ihre perfide Amneris-Konkurrentin Olga Borodina, die mit einem dramatischen, im Alt- wie Sopranregister souveränen Mezzo aufwartet .
Und ihrer beider "Objekt"? Vincenzo La Scola kommt leider über eine recht ordentliche Radames-Präsentation nicht hinaus; sowohl im Piano wie auch für wirkliche Glanz- und strahlende Höhepunkte scheint sein Hauptmanns-Tenor zu strapaziert; da scheint mir Domingo in der Leinsdorff-Aufnahme oder Robert Tucker in jener Callas-Aida unter Serafin nach wie vor der maßstabsetzende Aida-Partner, vor allem auch in der Schluss- und Sterbeszene, in der La Scola deutlich gegenüber seiner emphatisch sich engagierenden Partnerin abfällt.
Ansonsten lässt Harnoncourts Ensemble keine Wünsche offen - wen wundert's angesichts der Namen Matti Salminen, Thomas Hampson und Dorothea Röschmann. Alles in allem also wieder einmal eine echte, hinreißende Harnoncourt-Tat. Sie dürfte nicht zuletzt auch dem etwas ins Dämmern gekommenen Verdi-Jahr neuen Wind einhauchen.

Christoph Braun, 01.09.2007


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