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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Zugegeben: Der Rezensent hat gezögert, als es erneut darum ging, den Bachgesang Thomas Quasthoffs zu beurteilen – im Zusammenhang mit mehreren zurückliegenden Veröffentlichungen schien doch fast alles schon gesagt, was es dazu aus der Sicht des in der historisierenden Praxis verwurzelten Hörers anzumerken gibt. Immerhin ist man ja für diese Veröffentlichung zu den Berliner Barock Solisten unter Rainer Kussmaul zurückgekehrt (sie kamen schon vor einigen Jahren bei Quasthoffs Bach-Solokantaten-CD zum Einsatz, während im vergangenen Jahr das Bach-Händel-Mendelssohn-Programm "Betrachte, meine Seel" mit der Dresdner Staatskapelle produziert wurde): Kussmauls Instrumentalisten spielen zwar nicht auf alten Instrumenten, aber doch immerhin stark affiziert vom rhetorisch-musikalisch basierten Duktus der Originaltöner. Das ist ein großer Vorteil; freilich wäre Quasthoff, dem eher in der tieferen Lage beheimateten Bariton, ein tieferer Stimmton zugutegekommen: Gleich in seiner ersten Arie "Selig ist der Mann" aus der gleichnamigen Kantate BWV 57 kämpft er über weite Strecken mit der für ihn recht hohen Lage; seine Stimme klingt hier dünn und kann kaum jemals frei ausschwingen. Deutlich weniger Mühe macht im die Tessitura in der Koloratur-Arie "Ja, ja, ich kann die Feinde schlagen": Hier muss er sich dynamisch nicht zurückhalten und kann stärker zupacken – dies ist einer der schöneren Momente dieser CD. BWV 152 "Tritt auf die Glaubensbahn" musiziert man auf dieser CD, vielleicht aus Gründen der bequemeren Lage für Quasthoff, in e-Moll, obwohl dieses Stück heute meistens in klingend g-Moll gespielt wird – was freilich auch falsch ist: Die Weimarer Orgel war in 465 Hertz gestimmt, die Soloinstrumente dagegen in 415 Hertz; Bach notierte daher die Continuostimme in e, die Blockflöten-, Oboen- und Viola d’amore-Partie dagegen in g. Tatsächlich erklungen ist die Musik dann zwischen f-Moll und fis-Moll (so etwa auch in der übrigens hörenswerten Einspielung dieser Kantate durch John Eliot Gardiner, die zeitgleich erschien). Wie dem auch sei: Dank der tieferen Lage kann Quasthoff hier schöne Effekte erzielen, wenn es etwa im ersten Rezitativ um den Höllenbesuch Christi vor seiner Auferstehung geht. Leider bewegt er sich in der Mittellage im selben Rezitativ dennoch oft sehr unsicher: Einige deutlich zu tiefe Töne verursachen hier dem Hörer Pein. Kurz gesagt: Thomas Quasthoffs Stimme ist derzeit nicht in Ordnung – das kann nicht wegdiskutiert werden.
Die schlimmere Überraschung ist jedoch die Darbietung Dorothea Röschmanns, die ja doch immer wieder auch gern im Lager der Historisierenden erschienen ist: Was soll man von diesem eigenartig verquollenen, vibratogeschwängerten, textverzerrenden Gesang halten? Bald wähnt man sich in einer Richter’schen Einspielung mit Edith Mathis als Sopran, bald glaubt man angesichts glucksender Portamenti und sonstiger bei Bach völlig unangebrachter Effekte Brigitte Fassbaender zu hören, gelegentlich gar Elisabeth Schwarzkopf mit ihren verfärbten Vokalen. Hier ist wirklich einiges aus dem Ruder geraten – das hatten wir von dieser Sängerin nicht erwartet.

Michael Wersin, 10.11.2007


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