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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Béla Bartók

Die sechs Streichquartette

Juilliard String Quartet

Sony 5 099750 623121
(79 Min., 1963) 2 CDs

Dass ein Streichquartett eine Institution werden kann, die sich über Generationen hinweg zu einem Synonym für Kammermusik schlechthin entwickelt, das demonstriert seit 1946 das Juilliard String Quartet wie kein zweites Ensemble unserer Zeit. Zwar können die New Yorker nicht mit der ununterbrochenen vierzigjährigen Arbeit aller vier Mitglieder des Amadeus-Quartetts mithalten, aber die Zusammenarbeit des einundfünfzig Jahre (!) lang tätigen Primarius Robert Mann mit Kollegen wie Earl Carlyss, Raphael Hillyer, Samuel Rhodes, Claus Adam und Joel Krosnick, von denen die meisten über zwei Jahrzehnte ein „Julliard" waren (oder sind), sucht doch ihresgleichen; und sie schuf jene einzigartige Kontinuität, die dem Ensemble zu seinem unverwechselbaren Klang verhalf.
Dieser wurde und wird meist mit Begriffen wie glanzvoll und brillant belegt. Auch diese Bartók-Aufnahme, die zweite in der Trias der Julliardschen Bartók-Gesamteinspielungen von 1949, 1963 und 1981, in der neben Mann, Hillyer (Bratsche) und Adam (Cello) Isidore Cohen als zweiter Geiger mitwirkt, wird getragen von diesem hellen, silbrig-klaren Ton. Was die bislang auf CD unveröffentlichte Einspielung aber zu einem Dokument macht, ist neben der fabelhaften Homogenität vierer absolut gleichwertiger Partner ihr kaum zu steigernder Intensitätston. Er beschwört eine geradezu fiebrige Nervosität herauf, die den gesamten sechsteiligen Quartett-Zyklus durchzieht.
Dass sich die Julliards derart intensiv mit Bartóks Werk auseinandersetzten, lag nicht nur an ihrem Gründungskonzept, das zeitgenössischen Komponisten neben den „Klassikern" einen gleichberechtigten Raum geben sollte; es lag auch an der singulären Gattungsbedeutung dieses Zyklus, der nicht nur Bartóks künstlerischen wie biografischen Werdegang widerspiegelt, sondern ein gut Teil Kultur- und Musikgeschichte der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Töne gießt - vom ersten Werk aus dem Jahr 1909, das Bartóks Freund Kodály ein „intimes Drama, eine Art Rückkehr ins Leben vom Randes des Nichts" nannte, bis zum letzten Opus aus dem Jahre 1939, das Bartók nach dem Tod seiner Mutter, kurz vor der Emigration in die USA schrieb und das in fahlster persönlicher wie politischer Resignation noch einmal - wie die letzte Satzüberschrift „lontano" (aus der Ferne) suggeriert - prophetisch an das alte, bald untergehende Europa erinnert.
Während junge Ensembles unserer Tage oft mit einer scharfkantig-rabiaten Spielweise an Bartóks Werken vor allem deren Progressivität und Aggressivität hervorheben (wie sie sich in den Cluster-Flächen, Glissandi und knirschenden Dissonanzen vor allem im dritten und vierten Werk von 1927/28 vernehmen lässt), so dominiert bei den Julliards von damals en gros das Kantable - in jenem filigranen, fiebrig-nervösen Sinn.
Sie ignorieren das „Brutale" keinesfalls, doch erscheint es bei ihnen nicht als exzessiver momentaner Ausbruch, sondern eingebettet in dynamisch ausgefeilte Spannungskurven, in denen das Katastrophische stets untergründig präsent ist. Sie lesen den Zyklus gewissermaßen rückwärts vom letzten Werk her mit seinen katastrophischen persönlichen und zeithistorischen Dimensionen. Allenfalls das Bartók-Quartett vermag mit den Juilliards gleichzuziehen, wenn es darum geht, den Hörer vom existentiellen Ausdruckswillen dieser Werke zu überzeugen - auch wenn dieser Hörer vielleicht ein konservativer Schöngeist ist.
Bleibt noch die Frage an die Plattenmacher, warum im Beiheft die größte europäische Zielgruppe ignoriert wird und Erläuterungen zwar auf Englisch und Französisch, nicht aber auf Deutsch zu haben sind?

Christoph Braun, 01.09.2007


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