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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Dmitri Schostakowitsch

Sinfonie Nr. 11

London Symphony Orchestra, Mstislaw Rostropowitsch

LSO Live/Note 1 8 22231 10302 8
(3/2002) 1 CD

Sie ist ein merkwürdiges Werk, die Elfte von Schostakowitsch: eigentlich mehr eine Sinfonische Dichtung als eine Sinfonie, einerseits plakativ in ihrer Programmatik und der Verwendung von Volks- und Revolutionsliederzitaten und insofern mehr als die meisten anderen großen Werke Schostakowitschs dem herrschenden Diktat des "sozialistischen Realismus" entsprechend, andererseits in ihrer konsequent düsteren Grundhaltung eben dieser Ideologie konsequent widersprechend.
Es gibt eigentlich nur zwei Ausdruckscharaktere, die sich abwechseln: düster brütende Stille – die den ausgedehnten Kopfsatz ausschließlich beherrscht – und zwischen Brutalität und Verzweiflung schwankende Aggression. Das verleiht dem Werk etwas Monolithisches, um nicht zu sagen Eintöniges. Der Untertitel "Das Jahr 1905" bezieht sich auf die Ereignisse des Winters dieses Jahres, in dem für bessere Lebensumstände demonstrierende Menschenmassen vor dem St. Petersburger Winterpalast von der Polizei massakriert wurden. Laut späterer Aussage von Schostakowitsch liegen der Sinfonie jedoch aktuellere Geschehnisse zu Grunde: Das Werk entstand 1957, und ein Jahr früher wurde der Ungarnaufstand von der Sowjetunion niedergeschlagen.
Im Grunde handelt es sich, wie so viele Werke des Komponisten, um eine Stellungnahme gegen Gewalt und Unrecht allgemein, egal von welcher Seite sie ausgeübt werden. Dieser Bekenntnischarakter muss vom Interpreten verinnerlicht werden, um der Sinfonie gerecht zu werden – und ihr wirklich gerecht zu werden, ist schwieriger als bei den anderen Sinfonien Schostakowitschs, ausgenommen Nummer zwölf – die eingangs erwähnte Monotonie droht den musikalischen Gehalt zu ersticken.
Mstislaw Rostropowitsch ist vom unerschütterlichen Glauben an die Elfte beseelt; als Freund des Komponisten wie als Künstler, der unter den Repressalien des Sowjetregimes zu leiden hatte, weiß er genau, was Schostakowitsch in der Sinfonie zur Sprache bringen wollte. Er wählt einen extremen Interpretationsansatz mit sehr breiten Tempi, die den Fluss gelegentlich fast zum Stehen bringen. Zum Vergleich: Kyrill Kondraschin (Melodija) und Neeme Järvi (Deutsche Grammophon) benötigen für ihre Einspielungen 54 Minuten, bei Rostropowitsch sind es ganze 18 Minuten mehr.
Doch das Konzept geht auf: Noch nie verbreitete der langsame Kopfsatz eine derart atemlose Spannung, und auch der sonst leicht etwas banal wirkende dritte Satz überzeugt in Rostropowitschs Deutung. Die Szene des Massakers im zweiten Satz erklingt in barbarischer Wucht, die Vorbereitung darauf verbreitet fast physische Qual – man höre nur diese sadistischen Posaunenglissandi.
Über Rostropowitschs Entscheidung, am Schluss das Tamtam und die Glocken bis zur Ewigkeit ausklingen zu lassen, mag man streiten; der Effekt steht nicht in der Partitur. Insgesamt jedoch ist dieses heikle Werk selten mit mehr Herzblut zum Klingen gebracht worden, außer vielleicht von Leopold Stokowski. Das Londoner Sinfonieorchester, das die Sinfonie sicherlich nicht in jeder Saison aufführt, lässt sich von Rostropowitsch zu Höchstleistungen anspornen. Eine vorbildliche Präsentation im Beiheft verleiht der Einspielung Referenzcharakter.

Thomas Schulz, 01.09.2007


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