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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Dmitri Schostakowitsch

Sinfonie Nr. 10

Orchestre National de France, Kurt Sanderling

Naive/helikon harmonia mundi AV 4973
(1/1978) 1 CD

Als Sergej Prokofjew am 5. März 1953 starb, bemerkte das niemand. Ironie des Schicksals: Ein Zeitgenosse des Komponisten verschied am selben Tag, und zweifellos war der Tod Stalins bedeutsamer in den Augen der Öffentlichkeit. Hinfort war der grausame Tyrann, das Tauwetter konnte beginnen. Zu dieser Zeit schrieb Dmitri Schostakowitsch die ersten Noten seiner zehnten Symphonie in e-Moll. Wer aber aufgrund der Tatsache, dass Schostakowitsch, der unter Stalin, wie so viele gelitten hatte, aber immerhin mit dem Leben davongekommen war, jetzt eine Art Befreiungssymphonie komponieren würde, sah sich getäuscht. Die Zehnte ist in weiten Teilen ein beklemmendes Werk des Dunkels, wie ein trauriger, ausgezehrter Körper liegt sie vor uns. Und will einfach nicht jubeln können. Selbst der imposante Schluss birgt Zweifel in sich.
Kurt Sanderling, dieser charismatische Dirigent und letzter Verbliebener aus dem großen Dirigentenjahrgang 1912 (Günter Wand, Georg Solti, Sergiu Celibidache wurden im gleichen Jahr geboren), hat sowohl Schostakowitsch als auch Stalin gekannt. Er lebte und arbeitete 1953 in der Sowjetunion. Seine Lesart der zehnten Sinfonie an der Spitze des Orchestre National de France, ein Live-Mitschnitt von 1978, gestattet dem Hörer einen profunden Blick in den Abgrund. Sie ist nicht nur von enormer Präzision in der Phrasierung und in der Konturierung der tonalen Zentren, sie lässt aufgrund ihrer klanglichen Unnachgiebigkeit und rhythmischen Strenge förmlich Schauder über den Rücken laufen. Das Unbehagen hört mit, und ständig muss man befürchten, dass die nächste Katastrophe eintritt, eine derart gespenstische Atmosphäre kreiert Sanderling mit einem ihm in jeden Winkel der Partitur folgenden Orchester. Ein großartiges Schauspiel. Schicksalsschwer.

Jürgen Otten, 01.09.2007


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