Die neue Aufnahme Chris Potters bringt mich arg in Verlegenheit: Obgleich sie bis auf zwei gastierende Gitarristen in derselben Besetzung entstand wie ihr von mir hoch gelobter Vorgänger "Gratitude", könnte sie von diesem in der Haltung kaum weiter entfernt sein: Hatte sich Potter dort erfolgreich darum bemüht, seinen Saxofon spielenden Vorbildern Respekt zu zollen, verfolgt er hier zielstrebig seine eigene Vision - und die halte ich für problematisch.
Weit davon entfernt, plötzlich schlecht gespielt oder einfallslos dargeboten zu werden, scheint die Musik des Quartetts unter der Krankheit unserer Zeit zu leiden. Sie wirkt zerrissen, erzeugt Stress und scheint die verhängnisvolle Parole auszugeben: Ich will Spaß, auch wenn mir überhaupt nicht danach ist. Dadurch wirkt Potter auf mich wie ein unglücklicher Mann, der die Kiefer krampfhaft aufeinanderpresst und sein Zähnefletschen als Lächeln ausgibt. Diesen Eindruck hat er gewiss nicht beabsichtigt.
Es tut mir Leid, aber wenn Musik nur die Sorgen und Nöte des Alltags einfängt und damit unser Leiden an ihm verdoppelt, ohne zugleich über das Hier und Jetzt hinauszuweisen, verfehlt sie ihren Daseinszweck. Auf die Gefahr hin, hoffnungslos altmodisch zu wirken, verlange ich: Musik soll mich erheben, und wenn ihr das nicht gelingt, kann sie mir gestohlen bleiben.
Mátyás Kiss, 17.10.2002
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